Schutzlos: Thriller (German Edition)
Schwestern ein Brettspiel spielten, das sie aus den Regalen im Wohnzimmer gezogen hatten. Backgammon. Die Ursprünge des Spiels, bei dem man würfelt und Spielsteine zieht, um die eigenen Steine möglichst als Erster vom Brett zu bekommen, gehen fast fünftausend Jahre zurück. Eine Variation wurde in Mesopotamien gespielt, und das römische Spiel der zwölf Linien ist praktisch identisch mit dem Backgammon, das man heute spielt.
Ich überließ die Schwestern ihrem Wettstreit und ging Ahmad begrüßen, der an der rückwärtigen Tür stand und nach draußen blickte. Er versicherte mir, dass alles ruhig war. Ich rief den Zuschauer in West Virginia an, der berichtete, es habe keinerlei Anzeichen für eine Überwachung von außen gegeben.
Auch hätten sich Hirsche, Dachse und andere Tiere nicht ungewöhnlich benommen.
Ahmad stand in einer Weise da, die ich nur als gespannte Erwartung bezeichnen konnte, Schultern in eine Richtung geneigt, die Hüfte in eine andere. Seine Augen suchten die Umgebung ab, was sein Job war, aber er versuchte auch, meinem Blick auszuweichen. »Ich habe gehört, Sie haben einen Transport zum Gefängnis Hansen bestellt«, sagte er.
»Das stimmt.«
Er nickte, verständlicherweise verwirrt. Die Leute, die angeblich
in dem Transporter saßen, befanden sich keine zehn Meter von ihm entfernt.
»Hat Sie jemand deswegen angerufen?«, fragte ich.
»Es ging über den Äther.«
Ich erzählte ihm von meinem Täuschungsmanöver. »Sie werden keine Schwierigkeiten bekommen. Sie können sich darauf berufen, dass Sie nichts davon wussten.«
Der junge Beamte nickte. Er war neugierig, aber ich sagte weiter nichts. Wie Abe Fallow ist mir meine Verantwortung gegenüber den Nachwuchskräften in unserem Geschäft stets bewusst – es gibt so vieles zu lernen. Dies war jedoch eine Situation, auf die ich nicht näher eingehen wollte, da ich hoffte, er würde sich nie in einer ähnlichen wiederfinden.
»Ein gute Entscheidung, Sir«, war alles, was er sagte. »Ein Knast wäre in dieser Situation das Falsche.«
»Wo ist Ryan?«
»Arbeitet in seinem Zimmer. An diesem Buchhaltungsprojekt, glaube ich.«
Ich bemerkte, dass das Erdgeschoss von einem neuen, würzigen Geruch erfüllt war, ein Shampoo oder Parfüm, nahm ich an.
Ich war jedes Mal wieder verblüfft, welche Häuslichkeit sich in den sicheren Häusern einstellt, in denen ich meine Mandanten unterbringe. Welch ein Kontrast: die behagliche, sogar alltägliche Routine, das genaue Gegenteil zu dem Grund, aus dem diese Frauen und Männer hier sind.
Nicht zum ersten Mal machte mich das tröstliche Bild ein wenig sentimental. Gewisse Erinnerungen stiegen wieder auf, aber ich verscheuchte sie diesmal nicht ganz so rasch. Ich erinnerte mich an letzten Freitag, als ich nach der Arbeit allein ein Sandwich im Stadthaus gegessen hatte, ehe ich zu meinem Spieleklub gegangen war. Ich hatte die Liste für die Party gefunden, die Peggy und ich vor Jahren gegeben hatten. Ich hatte sie angesehen, und mir war der Appetit vergangen. Mir war der
Geruch der Wohnung bewusst geworden, der bitter war vom Karton, dem Papier und von der Druckfarbe der vielen Spieleschachteln an den Wänden. Das Stadthaus hatte unerträglich steril gewirkt. Ich hatte überlegt, mir Weihrauch zu besorgen oder Zimt auf dem Herd zu kochen, wie es Leute tun, wenn sie ihr Haus verkaufen wollen.
Oder Plätzchen backen. Irgendetwas Häusliches.
Als ob das jemals passieren würde.
Das Spiel zwischen den Schwestern war zu Ende, und Joanne ging auf ihr Zimmer zurück. Maree lächelte mich an und fuhr ihren Computer hoch.
»Wer hat gewonnen?«, fragte ich.
»Jo. Man kann sie nicht schlagen. Bei nichts. Es ist unmöglich.«
Als Statistikerin hatte Joanne sicherlich ein Talent für Mathematik, und das hieß ein Talent für Spiele – für bestimmte Spiele jedenfalls. Ich wusste, dass mir mein Geschick im Umgang mit Zahlen und mein analytischer Verstand beim Spielen halfen.
Bei Backgammon, das ich zufällig gut beherrsche, besteht die allgemeine Strategie darin, sich schnell und offensiv auf dem Spielfeld zu bewegen. Wenn das nicht funktionierte, mussten die Spieler auf Halten spielen und versuchen, einen Anker auf der Seite des Gegners zu schaffen. Es ist ein kunstvolles Spiel, wenn auch nicht so kompliziert wie Schach. Ich hätte gern gesehen, wie Joanne spielte. Es war jedoch ein rein theoretisches Interesse. In all meinen Jahren als Schäfer habe ich nie ein Spiel mit einem Mandanten gespielt,
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