Schutzlos: Thriller (German Edition)
Privatwirtschaft.«
»Ich auch«, sagte sie. »Ich war Sicherheitsberaterin bei einem großen Softwareunternehmen. Ich darf wirklich nicht sagen, bei welchem, aber wir hatten ein gewaltiges Problem mit Piraterie. Zig Millionen, hunderte Millionen Dollar standen auf dem Spiel. Wenn Sie mit Computern zu tun haben, wissen Sie, was Quellcodes sind.«
»Natürlich.« Er verdrehte leicht die Augen.
»Wir hatten einmal die Situation«, hörte ich DuBois sagen, »dass ein Angestellter dazu erpresst wurde, wichtige Teile von Quellcodes an einen Konkurrenten zu verraten. Es gelang mir, ihn aufzuspüren. Es gab Ähnlichkeiten zwischen der Situation damals und Ihrem Fall. Ich habe irgendwie vom einen aufs andere geschlossen.«
»Ich sagte Ihnen, es gibt kein Problem. Aber Sie haben ja nicht lockergelassen.«
»Ja, ich weiß. Ich habe mich ein bisschen festgebissen.«
»Sie waren verblendet, könnte man sagen.«
»Verblendet«, stimmte DuBois zu.
»Sie hatten also in Ihrer anderen Firma Erfolg und sind auf den Geschmack gekommen, und jetzt wollten Sie dasselbe hier erleben.«
»Ich … äh, ja, das kommt wohl hin.«
»Sie sind ein ehrgeiziges kleines Ding, was?« DuBois blieb stumm.
»Ehrgeiz ist gut. Aber Sie müssen etwas in der Hand haben.«
»Ja, Sir. Ich hatte nichts in der Hand.«
»Wenn Sie nichts in der Hand haben, richten Sie nichts aus.«
»Richtig.«
»Gar nichts.« Er lächelte sie schleimig, herablassend an. »Ich gebe Ihnen zwei Ratschläge. Erstens, und das sagt jemand, der in der Branche arbeitet: Computer können nicht alles. Sie weisen Ihnen eine bestimmte Richtung. Aber dann müssen Sie Ihr
hübsches kleines Köpfchen schon selbst anstrengen, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Und wie lernen Sie das?«
»Nun …« DuBois steckte sich eine schwarze Haarsträhne hinter das gepiercte Ohr, in dem sie jedoch keinen Ohrring trug.
»Durch Lebenserfahrung. Die wichtigste Sache in der Welt. Man kann sie nicht abfüllen, man kann sie nicht kaufen.«
»Ja, Sir. Was ist der zweite Ratschlag?«
»Erweisen Sie den Leuten den Respekt, den sie verdienen. Sie sind jung, Sie sind draufgängerisch. Aber Sie kommen schneller weiter, wenn Sie nicht vergessen, wo Ihr Platz im großen Ganzen ist.«
»Das stimmt. Manchmal vergesse ich, wo mein Platz ist.«
Ich sah Graham an. »Können wir sonst noch etwas tun?«
»Ihr kleines Fräulein und ich sind zu einem Einvernehmen gekommen. Ich denke, die Sache ist damit erledigt.«
»Das ist freundlich von Ihnen.«
»Behalten Sie diese Einstellung bei«, sagte er zu meinem Schützling.
DuBois blieb einen Moment still und nickte bedächtig. Ihre Haut rötete sich. »Mein Lehrer in der 7. Klasse hat einmal dasselbe gesagt. Natürlich war er …«
»Danke für Ihre Zeit, Mr. Graham«, unterbrach ich rasch. »Und für Ihre Großmut. Wir lassen Sie jetzt in Ruhe.«
Wir verließen das Haus und stiegen in den Honda. Als wir losfuhren, sah ich einen selbstzufrieden grinsenden Eric Graham die Tür schließen. »Das war hilfreich«, sagte ich zu DuBois.
Mein höchstes Kompliment. Es schien heute jedoch nicht zu ziehen.
Sie nickte mit düsterer Miene.
»Ich weiß, das war hart.«
»Ja.«
Die knappe, aus einem Wort bestehende Antwort verriet mir, dass DuBois sehr wütend war. Ich konnte es ihr nicht verdenken.
Vermutlich wäre sie lieber mit einem Rollkommando gegen einen Bewaffneten vorgegangen, der sich in einem Haus verschanzt hat, als diese Demütigung soeben zu ertragen.
Aber ich hatte sie bitten müssen, es zu tun. Es gab absolut keine logische Erklärung für Grahams Rückzieher, und der Umstand, dass »eine einflussreiche Persönlichkeit« zum MPD gegangen war, um dafür zu sorgen, dass die Ermittlung eingestellt wurde, deutete umso mehr daraufhin, dass hier ein wahrscheinliches Motiv für die Drohung gegen Ryan Kessler lag. Ich musste alles tun, was in meiner Macht stand, um herauszufinden, was mit Graham los war, selbst wenn mein Schützling dafür leiden musste.
Hübsches kleines Köpfchen …
Dass Claire DuBois sich vor einem arroganten Chauvinisten wie Graham in den Staub werfen musste, war bitter für sie, besonders da ihr Stern tausendmal heller leuchtete als seiner. Aber ich dachte daran, was Abe Fallow zu mir gesagt hatte.
Leute bewachen ist ein Geschäft wie jedes andere. Man fragt sich: Was ist mein Ziel, und wie erreiche ich es am sichersten? Wenn das heißt, man bettelt, dann bettelt man. Wenn man zu Kreuze kriechen muss, dann kriecht
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