Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
seit frühester Jugend!«
Kluftingers Kiefermuskeln begannen zu arbeiten. Er atmete tief ein, dann sagte er mit einem bedrohlich knurrenden Unterton: »Und diese Gewohnheit endet genau heut!«
Im Badezimmer stützte sich Kluftinger auf das Waschbecken und blickte in das müde Gesicht seines Spiegelbildes. Die Reise nach Wien, sein spontaner erster Flug, all die unvorhergesehenen Wendungen, die dieser Tag für ihn bereitgehalten hatte, ja sogar die enge Zusammenarbeit mit Richard Maier – all das hatte er ja gut verkraftet. Doch nun wäre es Zeit für eine echte Rückzugsmöglichkeit. Er konnte sich einfach nur dann richtig tief entspannen, wenn er allein war – oder allenfalls noch in Gegenwart seiner Frau oder seines Sohnes. Alles andere stellte für ihn sozialen Stress dar.
Als der Kommissar den kleinen, in zartem Altrosa gekachelten Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, waren seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden: Einen Schlüssel hatte er vergeblich gesucht. Priml. Nicht einmal hier war seine Intimsphäre sichergestellt. Er platzierte seinen Kulturbeutel auf einer freien Ecke des kleinen Waschbeckens und sah sich um. Der Zustand dieses Zimmers war eigentlich keine Überraschung mehr, denn es passte exakt zum Rest der Wohnung des Kollegen: Hier war seit gut und gern vierzig Jahren nicht mehr renoviert worden. Die Badewanne war fast bis an den Rand mit Kleidungsstücken und Handtüchern gefüllt, die so aussahen, als warteten sie schon ein paar Wochen oder sogar Monate auf eine Wäsche. Ein verschlissener Vorhang mit verblichenem Delfinaufdruck trennte die Duschwanne vom Bad ab. Der geflieste Boden war übersät von Fusseln und Wollmäusen. Auch die Klobrille aus Acrylglas, in die ein Stück echter Stacheldraht eingegossen war, verblüffte ihn nicht sonderlich. Sie passte zu Bydlinski und seinem seltsamen Humor.
Nachdem Kluftinger mit dem Desinfektionsspray, das ihm Erika eingepackt hatte, einmal das Badezimmer eingenebelt hatte, fischte er die Zahnpastatube aus seinem kunstledernen Kulturbeutel, wobei der vom Waschbecken fiel und der Inhalt sich über den Boden verteilte. Fluchend bückte er sich und stopfte seine Utensilien wieder hinein: Notfallpflaster, Deoroller, die alte Nagelschere, das kleine Hotelfläschchen Shampoo … Er erstarrte: Seine Reisezahnbürste lag ebenfalls auf dem Fußboden, und der Borstenschutz hatte sich gelöst. Er schluckte. Seine Ansprüche an Hygiene waren alles andere als übertrieben, aber es gab eine gewisse Grenze, die er in seinem Leben nicht mehr unterschreiten wollte. Als er die Bürste zögernd aufhob und auf das Konglomerat aus Flusen und Haaren sah, das von den Borsten herabbaumelte, war ihm klar, dass sich ihre Wege hier für immer trennen würden. Er schmiss sie angewidert in den überfüllten Mülleimer und wusch sich die Hände – wenn auch ohne das offenbar aus verschiedenen Resten zusammengeklebte Seifenstück zu verwenden. Diese Katzenwäsche – der Begriff ließ ihn bitter lächeln – musste für den heutigen Abend genügen. Dann drückte er sich ein wenig Zahnpasta auf die Kuppe seines rechten Zeigefingers und fuhr sich ein paarmal über die Zähne. Immerhin hatte er so frischen Minzgeschmack statt des Fettaromas der Krusteln im Mund. Er spritzte sich noch ein wenig Wasser ins Gesicht und trocknete sich dann mit dem Handtuch ab, das ihm seine Frau in den Koffer gepackt hatte. Tief sog er dessen Duft in seine Lungen: Es roch nach Sauberkeit, nach Frische, nach Daheim, nach Ruhe, Geborgenheit und irgendwie nach Erika. Er schlüpfte schnell in seinen dunkelgrünen Nickischlafanzug und ging seufzend zurück ins Schlafzimmer. Maier, noch immer lediglich mit Unterhose bekleidet, machte sich nun seinerseits auf ins Bad. Kluftinger riet ihm, Socken oder Schuhe anzuziehen, und als der Kollege ihn fragend anblickte, sagte er nur: »Wirst schon sehen, Richie!«
Dann schaltete er die Nachttischlampe auf seiner Bettseite an, löschte das große Licht und rollte sich vollständig in die Decke ein, sodass wie bei einem Mumienschlafsack nicht einmal mehr seine Arme herausschauten. Dabei lag er am äußersten Rand der Matratze auf der Seite, um so möglichst viel Raum zwischen sich und Maier zu bringen, wenn er mit dem schon das Bett teilen musste. Für Kluftinger war diese Schlafhaltung eine Art ungeschriebenes Gesetz zwischen Männern, die in eine solche Notlage gerieten. Dessen Einhaltung erwartete er stillschweigend auch von Richard
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