Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
Maier.
Als sich die Tür öffnete, betrat jedoch nicht sein Bettgenosse, sondern Valentin Bydlinski in Boxershorts und einem ausgeleierten Rapid-Wien-Trikot das Zimmer. Er warf die Kleidung, die er tagsüber getragen hatte, auf einen der Klamottenhaufen. »Ordnung muss sein«, flüsterte er lapidar und verließ das Zimmer wieder.
Kluftinger schüttelte ungläubig den Kopf. Dann befreite er sich jedoch noch einmal aus seiner Decke, stand auf und holte seine Dienstpistole aus dem Koffer, um sie zusammen mit seinem Geldbeutel, seinem Handy, einem kleinen mechanischen Reisewecker und seinem Hausschlüssel auf das Nachtkästchen zu legen.
Er hatte sich gerade wieder sorgfältig eingerollt und das Licht ausgemacht, da kam Maier vergnügt pfeifend zurück und kramte in seinem Koffer herum, dem er erst ein Ladekabel für sein Handy, eine Packung Taschentücher und schließlich ein Buch entnahm. Hinter seinem Nachtkästchen suchte er nach einer Steckdose für das Kabel, dann fragte er, sein Smartphone in der Hand haltend: »Für wann soll ich denn den Wecker stellen?«
»Vergiss es, Richie!«, brummte der Kommissar.
»Was soll ich denn vergessen, bitte?«
»Das mit dem Handy. Ich hab keine Lust, heut Nacht an diesem … Elektrosmogzeug einzugehen. Mach das Ding aus, ich hab meinen Reisewecker auf halb acht gestellt!«
»Da strahlt ja gar nix. Ich hab den Flugmodus aktiviert.«
»Ausmachen!«
»Ja, schon gut.«
Sein Kollege drückte auf seinem Telefon herum, und Kluftinger hätte gerne überprüft, ob er es wirklich abgeschaltet hatte, wenn er nur gewusst hätte, wie man das Ding bedient.
Schließlich warf sich Maier übermütig aufs Bett, knipste seine Nachttischlampe an und sagte: »Gut’s Nächtle! Ich les noch ein bisschen, wenn’s dich nicht stört.«
Der Kommissar wälzte sich mühsam in Maiers Richtung und sah, dass der gerade ein Buch mit dem Titel »Freunde finden, beliebt sein – Ein Wegweiser aus dem Abseits« aufschlug. Ein Lächeln huschte angesichts dieser Lektüre über Kluftingers Gesicht. »Es stört mich aber! Heut war ein stressiger Tag, und ich will jetzt schlafen!«
»Wenn ich nicht noch lese, kann ich nicht einschlafen«, erwiderte Maier trotzig.
»Zefix, Richard, jetzt gib endlich Ruhe! Und morgen liest du gleich beim Frühstück das Kapitel: Warum ich trotz Ratgeberlektüre immer noch keine Freunde habe!«
Maier stieß beleidigt die Luft aus, legte sein Buch weg und löschte das Licht.
Doch die ersehnte Ruhe wollte sich für Kluftinger nicht einstellen: Er hörte seinem Kollegen mehrere Minuten dabei zu, wie der sich auf dem Bett hin und her wälzte, die Decke vor und zurück schlug, um die richtige Schlafstellung zu finden.
»Geht das jetzt die ganze Nacht so?«, erkundigte sich der Kommissar.
»Tschuldigung, hab’s gleich. Aber ich muss dich vorwarnen. Nachts bin ich ziemlich aktiv. Wenn ich dir zu nahe komm oder mich auf dich draufwälze, dann weck mich einfach!«
Draufwälzen?
Kluftinger machte seine Nachttischlampe erneut an, drehte sich zu seinem Kollegen, blickte ihn drohend an und sagte: »Hier, exakt in der Mitte dieses Bettes …« Er zog mit dem Finger eine imaginäre Linie. »… verläuft eine unsichtbare Grenze. Diese Grenze wird die ganze Nacht lang nicht überschritten, haben wir uns da verstanden?«
Maier grinste. Offenbar dachte er, sein Bettgenosse mache Scherze.
Um diesen Eindruck zu widerlegen, fügte Kluftinger todernst an: »Wenn dir dein Leben lieb ist, hältst du dich dran.« Dann löschte er das Licht wieder.
Doch er döste mehr, als dass er wirklich schlief. Immer wieder jagten Bilder des vergangenen Tages durch sein dahindämmerndes Bewusstsein. Er sah sich im Flugzeug sitzen, die Landung beklatschen, durch Wien spazieren … Ruckartig riss er die Augen auf. Direkt in seinem Nacken spürte er warmen Atem. Er rollte zum Nachttisch und schaltete das Licht an. Und tatsächlich: Maier lag mindestens zwanzig Zentimeter über der Mitte, den Mund offen, ein feines Speichelrinnsal auf Kluftingers Kissen ergießend! Der Kommissar drehte sich um, langte nach seiner Waffe, hielt sie dem Kollegen vors Gesicht und tippte ihm damit an die Stirn. Maier schlug langsam die Augen auf, einen glasigen Blick auf den Gegenstand werfend, den Kluftinger in der Hand hielt – und machte einen Satz zurück, der ihn beinahe aus dem Bett warf.
»Sag mal, spinnst du?«, rief er mit schriller Stimme.
»Richie, ich hab dir gesagt, ich mein’s ernst!«
Maier atmete schwer:
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