Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
Kluftinger bedeutete seinen Kollegen, ihm ins Innere zu folgen. Nachdem sie den Kassenbereich passiert hatten, blieben sie erst einmal stehen und ließen alles auf sich wirken: Von dem alten Bauernhof waren nicht mehr als ein paar Anklänge, ein paar Zitate übrig geblieben. An der Decke und den Wänden erkannte man noch das alte Mauerwerk, vereinzelt hatte man alte Balken freigelegt, die Decke war immer wieder durchbrochen, was dem Raum Höhe und Licht gab. Ansonsten dominierten Glas, Stahl und ein dunkler Schieferboden. An den Wänden standen bereits die Vitrinen, zum Teil noch in Plastikfolien verpackt. Das Zentrum des Museums bildete jedoch ein gläserner Quader, der scheinbar frei im Raum schwebte.
»Respekt«, sagte Strobl und klopfte seinem Chef auf die Schulter, als habe der die Anlage konzipiert. »Da habt’s ihr Altusrieder ja doch mal was zustande gekriegt.«
Kluftinger nickte, denn er war selbst ein bisschen sprachlos, was hier geleistet worden war, zum größten Teil von Menschen, die er lange kannte, die Nachbarn und Freunde waren. Er fing sich jedoch schnell wieder und antwortete seinem Kollegen: »Ja, nicht schlecht, gell? Da könnt ihr zerstrittenen, egoistischen Kemptener halt mal sehen, was ein Dorf schaffen kann, wenn man zusammenhält.«
Es war ein altes Spiel zwischen den beiden: Während Strobl seinen Chef mit dessen Rückständigkeit aufzog, die seiner Meinung nach auf dessen Herkunft aus einem »Kuhkaff« zurückzuführen sei, konterte Kluftinger regelmäßig mit der Hochnäsigkeit und dem Narzissmus der Städter. Letztlich wussten sie beide, dass beispielsweise ein Münchner die Hand zwischen Kempten und Altusried nicht umdrehen würde.
»Wenn ihr das früher gewusst hättet«, sagte Strobl grinsend, »dann hättet ihr statt der schimmligen Ruine bestimmt die Monstranz in euer Wappen gemalt, oder?«
Rösler machte durch ein Räuspern auf sich aufmerksam. »Soll ich mich mal umsehen?«, fragte er.
»Ja, sicher, deswegen sind wir ja hier.« Kluftinger wies mit einer einladenden Handbewegung unbestimmt in den Raum, und der Alte machte sich, auf seinen Stock gestützt, auf den Weg. Es lief ähnlich ab wie am Vormittag in der Werkstatt. Auch hier murmelte Rösler unverständlich vor sich hin, während er durch den Raum lief. Die drei Beamten beobachteten ihn dabei, mit verschränkten Armen an einen Tapeziertisch gelehnt.
Nach einer Weile fragte Hefele: »Was kommt denn da in die Mitte rein?«
»Der heilige Magnus«, antwortete Kluftinger.
Hefele hob die Augenbrauen und blickte seinen Chef fragend an. »Ein Heiliger?«
»Teile von ihm halt. Das, was der Kohler da gefunden hat. Hast du doch mitgekriegt, oder?«
Hefele sah nicht so aus, als wüsste er, wovon der Kommissar redete. Deswegen holte der seufzend ein bisschen weiter aus: »Also, dass der Schatz hier vor einigen Jahren gefunden worden ist, das ist dir aber schon bekannt.«
Hefele nickte und sagte: »Schon. Und dass der damals mit dem Zeug zu dir in die Polizeidienststelle kam, auch.«
»Ja, aber das tut ja jetzt nichts zur Sache. Jedenfalls, neben dem ganzen Gold- und Edelsteinglump war das Hauptfundstück diese ominöse Reliquienmonstranz. Angeblich einzigartig in ihrer Verarbeitung und so. Und laut Inschrift mit Knochensplittern des heiligen Magnus versehen. Wer Magnus ist, weißt du aber, oder?«
Hefele hob entschuldigend die Achseln. »Ich bin doch nicht in der Kirche.«
»Immer diese Heiden.« Kluftinger blies die Luft aus und überlegte kurz. »Also, der Magnus ist der Apostel … der Schutzpatron des Allgäus. Der hat doch … mei, so im achten Jahrhundert, hier gepredigt. Die Allgäuer christianisiert, erleuchtet, wenn du so willst. Er soll eine Schlange in Kempten und einen Drachen bei Roßhaupten besiegt und mithilfe eines Bären eine große Eisenader am Säuling gefunden haben. Er hat viele Wunder gewirkt. Und das alles mit seinem legendären Stab.«
»Im Allgäu gibt’s doch gar keine Schlangen und Bären.«
»Ja, aber Drachen, oder? Und Bären gab’s früher wohl. Aber egal. Jedenfalls war er sehr wichtig für die Leut hier. Später hat man zu ihm gebetet, damit er einem aus verschiedenen Nöten hilft. Ungeziefer und so. Gibt doch den Spruch: Sankt Mang / schlägt’s Kraut mit der Stang . Und auch bei Augenleiden ruft man den Magnus an.« Kluftinger versuchte, bei der Schilderung der Funktion als Schutzpatron möglichst distanziert zu klingen. Er legte keinen Wert darauf, dass die Kollegen mitbekamen, wie
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