Schutzwall
Brattle ohne mich aufzuspießen. Und mich bekommt er nur, wenn man mir Immunität garantiert.« Spivey zündete sich eine Zigarette an, sog den Rauch tief ein und blies ihn zur Decke. »Den Jungen am Tor hast du gesehen?«
»Hab ich, ja.«
»Und den Burschen, der die Autos einparkt?«
»Auch den, ja.«
»Ich kann mir vorstellen, daß der alte Clyde hinter mir her ist.«
»Er selbst?«
»Gott, nein! Er wird Harley und Sid veranlassen, jemanden zu finden«, Spivey kicherte. »Vielleicht haben sie schon eine Annonce in Soldier of Fortune { * } einrücken lassen. Oder vielleicht versucht Sid es selbst. Der alte Sid liebt solche Dreckarbeit.«
»Willst du mit dem Senator sprechen?«
»Wann?«
»Morgen. Er und Dolan kommen um vier hier an.«
»Wann trifft er sich mit Brattle?«
»Um sieben.«
»Was meinst du denn, Pick, sollte ich zuerst oder zuletzt?«
Dill zögerte nicht. »Zuerst.«
»Warum?«
»Weil ich dir vielleicht zu einer kleinen Rückversicherung verhelfen könnte.«
»Was würde mich das kosten?«
»Wie viele Hebel kannst du bei Strucker ansetzen?«
Spivey zuckte die Achseln. »Reichlich, schätze ich. Was willst du von ihm?«
»Ich will, daß er sich hinsetzt und mir die Fakten mitteilt.« Dill legte eine Pause ein. »Wie auch immer sie sein mögen.«
»Über Felicity?«
Dill nickte.
»Ich werd sehen, was ich tun kann«, sagte Jake Spivey.
Dill traf mit Dora Lee Strucker erst zusammen, nachdem er einen nicht ganz gelungenen Flugsalto gestreckt vom Viermeterbrett gesprungen war. Als er ins Wasser eintauchte, dachte er noch, daß er seinen Rücken etwas weiter hätte durchdrücken sollen, aber zugleich wußte er auch, daß es immer noch ein recht ordentlicher Sprung gewesen war. Turm- und Brettspringen war der einzige Sport, den Dill jemals ernsthaft betrieben hatte – wahrscheinlich, weil es ein ausgesprochener Einzelsport war.
Er hatte ihn in der Mittel- und Oberstufe der High-School betrieben und später noch als Erstsemester am College, bis er schließlich einsehen mußte, daß er niemals besser sein würde, als er zu jenem Zeitpunkt gewesen war, was einfach nie gut genug sein würde. Er hatte ihn ohne Bedauern aufgegeben, fast sogar mit einem Gefühl der Erleichterung. Wenn er heute noch Sprünge vom Brett machte, dann in das Schwimmbecken in den Watergate-Sporteinrichtungen, wann immer ihn die Laune dazu packte, was jeweils etwa alle zwei Wochen vorkam.
Als er aus dem Becken kletterte, applaudierte ihm Anna Maude Singe amüsiert mit dreimaligem Händeklatschen und sagte: »Angeber.« Sie trug einen dunkelroten Badedreß, der oben aus zwei winzigen Dreiecken bestand und unten nur eine schwache Andeutung von Bedeckung vorgab.
Wenn sie alles ausziehen würde, dachte Dill, würde sie kaum nackter aussehen. Er sagte: »Ich wollte einfach mal sehen, ob das Gehirn dem Körper noch immer befehlen kann, was er tun soll.«
»Ich glaube nicht, daß du Mrs. Strucker schon kennengelernt hast«, sagte Anna Maude und wandte sich der Frau in dem einteiligen schwarzen Badeanzug zu. »Ben Dill.«
Mrs. Strucker streckte ihm ihre Hand entgegen. Dill fand, daß sie einen kräftigen, festen Griff hatte und eine kräftige, feste Stimme, mit der sie sagte: »In meinen Augen war das ein sehr schöner Sprung.«
Dill dankte ihr und setzte sich neben Anna Maude, die mit gekreuzten Beinen auf einem großen Handtuch saß.
Mrs. Strucker saß in einem Stuhl aus Aluminumrohr und Kunststoffbezügen. Sie hatte lange, tiefgebräunte, straffe, fast stämmig wirkende Beine, nicht eben schwere Hüften, eine sehr schlanke Taille, große, straff aussehende Brüste und herrliche Schultern. Eine Fülle tintenschwarzen Haars war zu einer Turmfrisur hochgesteckt. Darunter ein großflächiges, ruhiges, freundliches Gesicht: hohe Jochbeine, schwarze Augen und ein breiter Mund. Ihre Nase krümmte sich zu einem ganz leichten Haken, nur angedeutet und sehr attraktiv, und Dill fragte sich, ob sie wohl indianische Vorfahren hätte und wie sie zu so großem Reichtum gekommen wäre. Er schätzte ihr Alter auf dreiundvierzig, obwohl sie sich gut und gerne um fünf Jahre jünger machen könnte, falls es je notwendig sein würde. Strucker, der Chef der Kriminalabteilung, so befand er, hatte eine gute Wahl getroffen.
Anna Maude sagte: »Ich erzählte gerade Mrs. Strucker –«
Mrs. Strucker unterbrach sie. »Dora Lee, bitte.«
»Ach, richtig, ja. Ich habe Dora Lee gerade erzählt, daß du und Jake Spivey euch schon aus grauer
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