Schutzwall
verschwunden. Aber das stimmt auch nicht ganz, entschied Dill, er ist nach wie vor häßlich; doch dieses Lächeln ist so überwältigend, daß es einen blendet!
»Ich wette, daß Sie oft lächeln«, sagte Dill.
Noch immer lächelnd, nickte der große Mann. »Immerzu. Wenn ich’s nicht tue, werden erwachsene Männer bleich, und Kinder rennen vor mir davon.« Sein Lächeln verflog, er wurde wieder häßlich, und sein Ausdruck wirkte jetzt entweder hundsgemein oder extrem abgebrüht.
»Clay Corcoran«, sagte der schwere Mann und blickte Dill erwartungsvoll ins Gesicht.
Dill schüttelte den Kopf. »Da klingelt bei mir nichts.«
»Das hätte ich eigentlich gehofft. Ich müßte dann nicht eigens erklären, wie lächerlich ich bin.«
»Lächerlich?«
»Abgelegte Liebhaber sind immer lächerlich. Genau das bin ich. Clay Corcoran, der abgelegte Liebhaber. Vielleicht sogar ein Hahnrei, was sogar noch lächerlicher wäre, außer, daß ich mir nicht ganz sicher bin, wie man ein Hahnrei sein kann, wenn man unverheiratet ist.«
»Wir könnten es nachschlagen«, sagte Dill.
»Es wird Ihnen inzwischen wohl aufgegangen sein, daß ich von Ihrer Schwester spreche.«
Dill nickte.
»Die Sache mit Felicity geht mir schwer an die Nieren«, sagte Corcoran, »so verdammt schwer, daß ich völlig durch den Wind bin.« Und als wollte er es beweisen, rollte aus dem Winkel des linken Auges eine Träne die gebräunte Wange herab. Beide Augen waren grün, obwohl das linke mit kleinen gelben Pünktchen durchsetzt war. Es waren kleine Augen, ganz tiefliegend und viel zu weit von einer Nase versetzt, die aussah, als wäre sie von einem Stümper gerichtet worden. Der Kopf selbst war ein roh herausgehauener Klotz, der mit einem sich lichtenden Knäuel blonder Haare bedeckt war, die fast ganz weiß aussahen. Das Haar war so dünn und fein, daß es bei der kleinsten Bewegung der massigen Gestalt in sanfte Schwingungen versetzt wurde, sogar die Baßstimme ließ es leicht erzittern.
Unterhalb des Haaransatzes waren knapp zweieinhalb Zentimeter Stirn zu sehen, deren tiefe Furchen sich nie wieder glätten würden, und weit unten saß ein Kinn, das an einen zerbrochenen Pflug erinnerte. Der Gesamteindruck konnte wohl den Tapfersten beunruhigen und den Furchtsamen zutiefst erschrecken, solange nicht dieses umwerfende, strahlende Lächeln aufleuchtete und alles mit seinem wärmenden, beglückenden Strahlen umfing.
Corcoran verfolgte tastend die Spur der vereinzelten Träne und wischte sich den Finger abwesend an seinem weißen, kurzärmeligen Leinenhemd ab, das seine mächtigen Schultern und die Brust bedeckte. »Na ja, ich wollte einfach mal vorbeikommen und mein Beileid aussprechen«, sagte er.
»Danke«, erwiderte Dill.
Der Riese zögerte. »Vermutlich ist es besser, wenn ich Sie jetzt allein lasse, damit Sie noch ein bißchen Schlaf bekommen.«
»Wollen Sie mir nicht von ihr erzählen?«
Als das Lächeln zurückkam, dachte Dill, daß er jetzt das richtige Wort dafür gefunden hätte; engelhaft. Der massige Kopf nickte eifrig und drehte sich auf dem Hals mit Kragenweite fünfundvierzig, als seine Augen wie suchend umhergingen. »Slush Pit hat noch offen«, sagte Corcoran.
»Sehr schön.«
Sie machten sich auf den Weg zur Bar, und Corcoran sagte: »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Mr. Dill.«
»Wie alt sind Sie?« fragte Dill.
»Dreißig.«
»Leute über dreißig nennen mich Ben.«
»Felicity war … äh – zehn Jahre jünger als Sie. Siebenundzwanzig.«
»Achtundzwanzig«, sagte Dill, »heute war ihr Geburtstag.«
»O Gott«, sagte Corcoran, und das Lächeln verschwand.
Sie wählten denselben Tisch, an dem Dill früher am Tag mit der Anwältin Anna Maude Singe gesessen hatte.
Er bestellte bei der Kellnerin einen Cognac. Corcoran bat um Bourbon und Wasser. Als sie ihn fragte, welche Marke er bevorzugte, sagte er, daß es ihm gleich wäre.
Die Gleichgültigkeit des Riesen gefiel Dill.
Nachdem die Getränke gekommen waren und Dill den ersten Schluck genommen hatte, sagte er: »Wo haben Sie Felicity kennengelernt?«
»An der Universität. Ich war ein älteres Semester und sie ein Anfangssemester, und ich hatte da ein kleines Problem mit meinem Französisch 102, weil ich ein Jahr davor auf die Reservebank gegangen war und –«
»Reservebank?«
»Sie sind wohl kein Sportfan, wie?«
»Nein.«
»Ich war ein Jahr lang von der Uni beurlaubt, weil ich einen Kapselriß am Knie hatte, und dadurch, daß ich mich nur hab
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