Schwaben-Angst
eine sportliche, sehr schlanke Figur, ein schmales, auffallend hübsches Gesicht. Vor wenigen Monaten erst war sie von Freiburg ans LKA versetzt worden.
»Darf ich dich was fragen?« Sie stand wartend an der offenen Tür, kam erst näher, als er nickte.
»Felsentretter, wie?«
Anja Wintterlin nickte. »Er schimpft ohne Pause, weil er nicht den richtigen Herbert Bauer findet.« Sie trat an seinen Schreibtisch, hatte eine Kopie der Liste mit den acht Namen in der Hand.
»Du suchst nach den Männern?«
»Gerd Seiter«, antwortete sie, »ich bin mir nicht sicher.«
»Den Namen gibt es sehr häufig, ja?«
»Wie Sand am Meer. Das ist es aber nicht. Ich dachte schon, ich habe den Mann gefunden, aber jetzt …«
»Du glaubst, du hast ihn?«, fragte er aufgeregt.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie unsicher, »jetzt auf einmal will er es nicht mehr sein. Er streitet ab, den Drohbrief erhalten zu haben, obwohl er es vorher noch zugab.«
»Ihr habt miteinander geredet?«
»Telefoniert, ja. Zu einem direkten Gespräch war er nicht mehr bereit. Er ist auf Sendung.«
Braig schaute sie fragend an.
»Seiter ist Radio-Moderator. Bei der Jugendwelle ›Cool‹.«
»Cool?« Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, starrte überrascht zu seiner Kollegin hin.
»Du kennst den Sender?«
Braig nickte: Es war gerade ein Jahr her, dass sie sich abgemüht hatten, den Mord am damaligen Star-Moderator des Senders aufzuklären. Hans Breidle alias Jack Cool. Er erinnerte sich noch genau an die angeblich
coolen
Sprüche und Bemerkungen Breidles in dessen Sendungen. Eine Aussage dämlicher als die andere. Hirnloses, primitives Geschwätz ohne jedes Niveau. »Cool ist Kult«, hatte ihm der Chefredakteur des Senders erklärt, aufgelöst und außer sich über den Verlust des Mitarbeiters, »wie sollen wir jetzt nach seinem Tod weitermachen?«
Sie hatten es dennoch geschafft, waren offensichtlich voll im Geschäft geblieben. Braig kam nicht umhin, die Geschäftstüchtigkeit der Leute im Nachhinein zu bewundern. Mit ausgefuchster Cleverness hatten sie den Aufsehen erregenden Mord an ihrem angeblichen Kultmoderator dazu benutzt, dem Sender einen neuen Namen zu geben, ihn nach dem zu benennen, der ihren Werbespots die höchstmöglichen finanziellen Erträge verschafft hatte: Radio
Cool
. Nicht mehr nur ein Moderator, nein, der ganze Sender war jetzt
cool
, was immer das bedeuten sollte. Ob sie immer noch mit denselben flapsigdämlichen Sprüchen hausieren gingen? Braig hatte es sich längst abgewöhnt, Radio zu hören, empfand nur noch als Unverschämtheit und Zumutung, was von den meisten Sendern geboten wurde.
Anja Wintterlin sah förmlich, wie es in ihm arbeitete. »Die sind total auf Jugendliche ausgerichtet.«
»Genau das Richtige für dich«, versuchte er zu scherzen.
»Für mich?« Sie stemmte die Arme in die Hüften, wehrte seine Vermutung energisch ab. »Für die bin ich Oma, seit Jahren schon. Ab dreißig gehörst du heute zum alten Eisen.«
Er ging nicht weiter auf ihre Antwort ein, versuchte sich auf den Mann von der Liste zu konzentrieren.
»Mir kam der Name gleich bekannt vor«, sagte sie, »deshalb ließ ich mir seine Nummer geben und rief bei ihm an. Er gab zu, Drohungen erhalten zu haben, mehrere Briefe.«
»Wann war das? In letzter Zeit?«
Anja Wintterlin nickte. »Vor ein paar Wochen, genau konnte er es nicht mehr sagen. Als ich ihn darauf ansprach, dass wir die Originale der Briefe benötigen, um nach Spuren zu suchen und wir ihn von jetzt an überwachen würden, weil er sich in Gefahr befinde, machte er sich über mich lustig. Ich sei hysterisch, meinte er, das sei typisch für die Polizei. Immer nur schwarz sehen und die Leute verängstigen, statt ihnen zu helfen und sie aufzubauen. Später stritt er alles ab. Überwachung durch Polizisten, das sei das Letzte, was er benötige und wir sollten uns ja unterstehen, ihm nachzuspionieren.«
»Und jetzt ist er auf Sendung?«
»Von vier bis acht«, sagte sie, »aber anschließend habe er schon was vor. Keine Zeit zu einem Gespräch.«
Braig dachte an Hans Breidle, erinnerte sich, was sie nach und nach über dessen Lebensstil herausgefunden hatten. Der Moderator war zwar verheiratet, pflegte jedoch fast täglich junge Frauen in eine eigens für diesen Zweck in Esslingen gemietete Wohnung abzuschleppen, die er sich als romantische Liebeslaube eingerichtet hatte. Ob sein Nachfolger in der Beziehung ähnliche Verhaltensweisen pflegte? Sie mussten auf jeden Fall mit dem
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