Schwaben-Angst
Mann reden, ihn fragen, ob er wirklich den bekannten Drohbrief erhalten habe und ihn über die Gefahren aufklären, die ihm dann drohten.
Braig schaute auf seine Uhr, sah, dass es kurz nach fünf war. Höchste Zeit für ein warmes Essen und ein paar ruhige Minuten.
»Ich übernehme den Mann«, schlug er vor, »jetzt, heute Abend noch, einverstanden?« Er sah die Erleichterung in ihren Augen, freute sich, ihr helfen zu können. »Wir hatten letztes Jahr schon mit dem Sender zu tun. Die werden sich noch an mich erinnern.«
Er bat sie, sich um die beiden anderen noch nicht identifizierten Männer der Liste zu kümmern, verließ sein Büro.
Die Luft draußen war immer noch überraschend warm. Braig atmete tief durch, lief zum Bahnhof Bad Cannstatt, schaute unterwegs in einem Laden vorbei, kaufte eine Pizza funghi und einen Kopf Salat. Er nahm die S-Bahn zum Feuersee, ging in seine Wohnung, steckte die Pizza in den Backofen, stellte sich unter die Dusche. Der Wechsel von warmem und kaltem Wasser half, die Schmerzen langsam zu vertreiben. Er träufelte sich Shampoo in die Haare, massierte seine Kopfhaut, die Schläfen. Stück für Stück wich die Verspannung aus seinem Körper.
Braig stieg aus der Duschkabine, trocknete sich ab, holte die Pizza aus dem Ofen. Sie duftete knusprig. Er zog sich an, zerkleinerte ein paar Salatblätter, presste eine halbe Zitrone aus, fügte Öl, Kräuter und Salz dazu, aß den Salat mit der Pizza. Ob wir es schaffen, die Männer rechtzeitig ausfindig zu machen und zu warnen, bevor der Mörder wieder zuschlägt? Er war zu müde, länger darüber nachzudenken, nickte ein. Den Kopf in den Händen, die Arme neben dem leeren Teller aufgestützt, dämmerte er vor sich hin. Kurz vor halb acht kam er wieder zu sich.
Braig sprang auf, zog sich eine Jacke über, rannte zur S-Bahn-Station. Zwei Minuten vor acht stand er an der Pforte des Senders.
»Braig vom Landeskriminalamt«, wies er sich aus, »ich möchte Herrn Seiter sprechen.«
Im Hintergrund dudelte ein Lautsprecher. Harter Rock, dann Rap. Braig verabscheute kaum etwas mehr als Lärm dieser Art.
»Sind Sie bei ihm angemeldet?« Der Pförtner schien nicht auf Konsens eingestellt. Er warf Braig einen missbilligenden Blick zu, sprach mit gedämpfter Stimme. »Herr Seiter ist nicht
gerade so
zu sprechen.«
Braig hatte keine Lust, sich auf derlei elitäre Attitüden einzulassen, verschärfte den Ton seiner Stimme. »Hören Sie, ich ermittle! – Ich muss Herrn Seiter sprechen und zwar
jetzt sofort
. Wenn Sie mir nicht augenblicklich weiterhelfen …«
Der Pförtner unterbrach ihn mitten im Satz. »Hier kommt er. Herr Seiter, Besuch für Sie.«
Der Mann, der leise vor sich hin summend auf sie zu kam, trug ein weites, schwarzes Sweatshirt, mit mehreren Taschen an beiden Beinen bestückte silbergraue Jeans, dazu eine weiße Mütze mit dem Aufdruck
life is wonderful
. Braig schätzte ihn auf Anfang dreißig.
»Herr Seiter?«, fragte er.
Der Mann nickte, blieb stehen.
Braig zog seinen Ausweis, stellte sich vor. »Ich muss mit Ihnen reden. Es ist dringend.«
»Jetzt?«
»Sofort. Tut mir Leid, es geht nicht anders.«
Gerd Seiter seufzte laut auf. »Okay, hoffentlich dauert es nicht so lange. Bringen wir es hinter uns. In meinem Auto?«
Braig hatte nichts dagegen einzuwenden, folgte dem Mann in die Tiefgarage.
»Geht es um diese verrückten Briefe?« Seiter stand vor seinem Wagen, einem weißen Golf, öffnete die Tür.
Braig nickte. »Meine Kollegin hat Sie bereits danach gefragt.«
»Allerdings. Ziemlich hartnäckig die Frau. Sie laberte mich den halben Mittag voll.«
»Sie haben mehrere Briefe erhalten?«
Der Mann zog eine Zigarettenschachtel aus einer der Hosentaschen, bot Braig eine an. Der Kommissar wehrte ab, blieb wartend vor dem Auto stehen.
»Zwei«, nuschelte Seiter, die Zigarette zwischen den Lippen, ein Feuerzeug in der Hand, tat einen tiefen Zug, »jedenfalls so weit ich mich erinnere.«
»Was heißt das?«
»In meinem Job gibt es öfters Drohungen. Ich achte schon gar nicht mehr genau darauf.«
»Aber diese beiden Briefe fielen Ihnen auf.«
»Das kann man sagen«, erklärte der Journalist. Er zündete die Zigarette an, steckte die Schachtel und das Feuerzeug zurück. »So ausführliche Begründungen, weshalb ich demnächst ins Jenseits befördert werde, habe ich noch nie erhalten.«
Braig betrachtete ihn mit skeptischer Miene. »Womit wurde das begründet? Wie lang waren die Schreiben?«
»Drei, vier Seiten, meine
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