Schwaben-Angst
Frau?«
»Wieso fragst du?«, erwiderte Neundorf. »Die Haare stimmen. Ich habe sie jedenfalls so in Erinnerung, oder?« Sie schaute fragend zu Braig, bemerkte dessen Zustimmung.
»Er soll um die Fünfzig sein, denke ich. Männer in dem Alter haben immer Geheimratsecken. Zumindest einen Ansatz dazu.«
»Mir kommt das Aussehen korrekt vor. Nur das Gesicht trifft es noch nicht ganz.«
»Die Backen«, erklärte Braig, »sie waren runder und etwas schmaler. Außerdem glänzten sie irgendwie.«
Schiek veränderte die Form des Gesichts, modellierte mehr und mehr die Person heraus, die sie in Erinnerung hatten. Braig betrachtete das Portrait auf dem Monitor, zeigte sich zufrieden. Der Mann auf dem Bildschirm entsprach nun fast haargenau dem Menschen, der ihnen in der Lindenstraße in Ludwigsburg im ersten Obergeschoss die Tür geöffnet hatte.
»So können wir es bringen«, meinte Neundorf, »genau so.« Sie bat Schiek, das Bild auszudrucken, es per E-Mail und Fax sämtlichen Pressevertretern zuzusenden und darauf hinzuweisen, dass der Mann im Zusammenhang mit den Giftmorden gesucht werde.
»Ihr habt keine Anhaltspunkte, wo er lebt?«, fragte Schiek.
»Leider nein«, antwortete Braig, »bis jetzt wissen wir noch nichts.«
»Dann übermittle ich Felsentretter das Bild, damit er den Mann auch optisch vergleichen kann. Und ich erstelle einen Foto-Abgleich mit unserem Fahndungs-Programm. Vielleicht erkennt der Computer den Kerl.«
Der Kommissar bedankte sich bei seinem Kollegen, erinnerte sich, dass er bei der Künstler-Vermittlung in Frankfurt anrufen wollte, schaute auf seine Uhr. Wenige Minuten vor vier. Höchste Zeit. Er wusste nicht, wie lange solche Agenturen zu erreichen waren.
Braig verabschiedete sich, sprang die Treppen nach oben, lief in sein Büro. Würziger Kaffeeduft hing im ganzen Raum. Er merkte, dass er vergessen hatte, die Kaffeemaschine auszuschalten, nahm die Glaskanne von der Platte. Ein Rest brauner Flüssigkeit schmorte vor sich hin. Braig schüttete ihn in seine Tasse, gab Wasser dazu, trank in kleinen Schlucken. Es schmeckte fast unerträglich bitter wie kaum genießbare Medizin.
Das Fax mit der Anschrift der Frankfurter Agentur lag auf seinem Schreibtisch. Er wählte die Nummer, hatte Glück. Eine Frauenstimme meldete sich.
Braig stellte sich vor, schilderte sein Anliegen.
»Landeskriminalamt in Stuttgart«, sagte die Frau schließlich. »Heißt das, Sie vermuten, Frau Dorn sei in kriminelle Machenschaften verwickelt?«
Braig versuchte, die Bedenken seiner Gesprächspartnerin zu zerstreuen. »Im Gegenteil. Aller Voraussicht nach hat sie mit der Angelegenheit, in der wir ermitteln, überhaupt nichts zu tun. Wir wollen nur mit Frau Dorn sprechen, weil wir glauben, dass sie einen Mann kennt, der für uns sehr wichtig sein kann.«
»Dann wird Frau Dorns Name auf keinen Fall im Zusammenhang mit Ihren Untersuchungen erwähnt.«
»Das kann ich Ihnen gerne zusichern«, versprach er, »wir werden der Presse nichts von Ihrer Klientin mitteilen.«
»Darum möchte ich Sie dringend ersuchen. Nichts kann einem Künstler mehr schaden, als durch irgendeine unbedachte Veröffentlichung in Misskredit zu geraten. Und sei es ohne jeden Grund.«
Sie versprach, dem LKA die Kontaktadresse Katja Dorns im Verlauf der nächsten halben Stunde zuzufaxen, verabschiedete sich.
Braig spürte die erneut aufkommenden Kopfschmerzen, fühlte sich matt und hungrig. Außer Brezeln und trockenen Brötchen hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen. Er lief zum Waschbecken, schaute in den kleinen Spiegel über dem Wasserhahn. Ein müdes, bleiches Gesicht starrte ihm entgegen, Bartstoppeln auf dem Kinn, Ringe unter den Augen. Das Bild eines alten, verbrauchten Mannes.
Er wandte sich von dem abschreckenden Spiegelbild ab, drehte den Wasserhahn auf. Sein Kopf drohte zu zerspringen, als er sich nach unten beugte. Braig klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, wartete, dass die Schmerzen nachließen. Wasserperlen tropften von seinen Backen und dem Kinn ins Becken. Er drehte den Wasserhahn wieder zu, fuhr sich über die nasse Stirn. Langsam kam sein Gehirn wieder in Schwung. Ob sie jetzt endlich an Frau Dorn herankamen?
Hinter ihm auf dem Schreibtisch schob sich ein Papier aus dem Fax-Gerät. Braig wischte sich das Gesicht trocken, wandte sich um. Neundorf stürzte aufgeregt in den Raum.
»Zierz, der Mann auf der Liste«, erklärte sie außer Atem, »er hat einen Drohbrief erhalten.«
Braig starrte seine Kollegin
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