Schwaben-Angst
Braun empfing ihn mit schlafverschleiertem Gesicht. Sie führte ihn in die Wohnung im dritten Obergeschoss, bat ihn, im geräumigen Wohnzimmer Platz zu nehmen, entschuldigte sich für einen Moment. Braig lehnte sich im Sofa zurück, betrachtete die mollige, schwarze Katze, die auf einem Sessel an der Längsseite des Tisches vor sich hin döste. Sie hatte nur kurz geblinzelt, als die Gastgeberin mit ihm in den Raum getreten war, hatte sich dann wieder ihren Träumen hingegeben.
Frau Braun ließ ihn nicht lange warten. Sie hatte sich schnell gewaschen, den hellgrünen Hausanzug, in dem sie ihm an der Tür entgegengetreten war, mit dunkelblauen Jeans und einem schwarzen Baumwollhemd getauscht und ein gelbes Handtuch um den Hals gelegt, mit dem sie sich die nasse Haut an den Schläfen und der Stirn abwischte.
»Sie haben es wirklich sehr eilig«, sagte sie, »Herbert Bauer scheint Ihnen am Herzen zu liegen.«
»In der Tat«, antwortete Braig, »ich hatte allerdings keine Ahnung, dass ich so schnell hier sein kann.«
»Die neue Strecke«, meinte sie. »Katja hat sich sehr gefreut, als sie im Sommer eröffnet wurde. Jetzt ist sie in der halben Zeit in Stuttgart.« Sie zog einen der breiten Sessel zum Tisch, blieb wartend davor stehen. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wasser, Bier, Wein?«
Braig lehnte nicht ab, wollte nichts unversucht lassen, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, um der Frau möglichst viele Informationen über Herbert Bauer zu entlocken. Sie lief kurz aus dem Zimmer, kehrte mit zwei Gläsern, Wasser und Bier zurück. Braig zeigte auf die Wasserflasche, wartete, bis sie zwei Gläser ausgeschenkt hatte, bedankte sich.
»Frau Dorn fährt oft nach Stuttgart?«, fragte er.
»Es ist ihre Heimat«, erklärte Susanne Braun, »außerdem hatte sie früher viele Engagements dort und bis vor kurzem auch eine gute Freundin.«
»Beate Berg.«
»Genau. Sie starb vor ein paar Wochen.«
Braig nickte. »Frau Dorn stammt aus Stuttgart?«
»Aus der Nähe. Ihre Eltern lebten in Winnenden. Sie hat deren Wochenendhaus übernommen und ausgebaut. Es liegt wunderschön.«
Susanne Braun griff zu ihrem Glas, trank. Die schwarze Katze richtete sich gähnend auf, betrachtete Braig mit runden Augen, miaute laut.
»Ist gut, Maja«, beruhigte die Frau das Tier. Sie fuhr ihm sanft über den Kopf.
Braig stellte das Wasser, das er gerade vom Tisch genommen hatte, zurück, sah zu Susanne Braun hinüber. »Was haben Sie gerade gesagt?«
Sie betrachtete ihn verwundert. »Ich meinte nicht Sie, es galt der Katze.«
»Wie heißt sie?«
»Maja«, erklärte Susanne Braun, »sie gehört Katja. Ich habe sie bei mir, weil Katja so viel unterwegs ist. Es ist sehr schwer geworden, eine Rolle zu finden, sie muss sich überall darum bewerben, ich habe es Ihnen schon am Telefon erklärt.« Sie sah seinen überraschten Gesichtsausdruck, deutete auf das Tier. »Gefällt sie Ihnen? Sie können Maja streicheln, sie kratzt nicht, keine Angst.«
Braig erhob sich vom Sofa, bewegte sich langsam auf den Sessel zu, um das Tier nicht zu erschrecken. Die Katze gähnte mit weit aufgerissenem Maul, miaute dann leise, als er sie im Nacken kraulte. »Ein seltener Name für eine Katze«, meinte er.
Das Tier begann laut zu schnurren.
»Maja?« Susanne Braun stellte ihr Glas auf den Tisch. »Katja hat ihn aus ihrem ersten Stück. Wie Herbert Bauer.«
»Herbert Bauer?« Braig sah von dem Tier auf. »Was hat der Mann mit der Katze zu tun?«
War er jetzt endlich da, der Zusammenhang?
»Sie verstehen auch gar nichts, wie?«, erklärte seine Gastgeberin.
Sie erhob sich aus ihrem Sessel, trat an einen kleinen Wandschrank an der Längsseite des Zimmers, öffnete eine Schublade, kehrte mit einer Kassette zum Tisch zurück, entnahm dieser einen Packen Bilder, schob sie zu Braig hinüber.
Er setzte sich auf das Sofa, erkannte den Mann auf den ersten Blick. »Herbert Bauer«, sagte er. Der Gesichtsausdruck, der Blick, die Frisur, genau wie er alles in Erinnerung hatte. »Wer hat das fotografiert?«
»Ich«, erklärte die Frau, »letztes Jahr.« Sie nahm wieder im Sessel Platz, sah zu, wie Braig die Bilder der Reihe nach betrachtete.
»Und Sie wissen nicht, wo der Mann sich zur Zeit aufhält?«
Susanne Braun schüttelte den Kopf, lachte. »Was wollen Sie von ihm? Darf ich es wissen?«
Braig zog seine Tasche zu sich her, griff nach der Zeitung, die er unterwegs gelesen hatte, legte sie auf den Tisch. Schieks Phantombild ähnelte in verblüffendem Maß dem
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