Schwaben-Angst
Mann, den die Fotos zeigten.
Sie nahm die Zeitung, sah die Fahndungsmeldung, erstarrte. »Sind Sie wahnsinnig?«, kreischte sie.
Braig nahm das Glas, trank von dem Wasser, betrachtete die Frau, die dem Text kopfschüttelnd folgte. Ihr Gesicht verlor jede Farbe, erstarrte zu einer unbeweglichen Maske.
»Das kann nicht sein«, murmelte sie.
Er wartete, bis sie alles gelesen hatte, stellte das Glas zurück. »Was kann nicht sein?«
Sie gab keine Antwort, starrte vor sich auf die Zeitung. »Sie täuschen sich.«
»Wie gut kennen Sie Herbert Bauer?«
»Wie gut?« Tränen perlten aus ihren Augen. »Wie kommen Sie auf die Idee, ihn zu verdächtigen?«
Sie musste ihn gut kennen, spürte Braig, weit besser, als sie bisher zugegeben hatte.
»Wo ist der Mann? Sie wissen, wo er sich gerade aufhält, ja?«
Susanne Braun ging nicht auf seine Fragen ein. »Sie glauben, er habe drei Menschen ermordet?«
»Wir sind uns dessen fast sicher«, antwortete er. Noch waren es nur Indizien, die darauf hinwiesen, noch hatten sie keine Beweise. Schwerwiegende Indizien allerdings, die kaum eine andere Deutung zuließen.
»Sie täuschen sich. Das ist nicht möglich.«
»Wir haben seine Fingerabdrücke. Ich erzähle keine Märchen.« Er sah, wie immer mehr Tränen aus ihren Augen rannen.
»Seine Fingerabdrücke? Die von Herbert Bauer?«
Braig nickte wortlos.
»Woher haben Sie sein Bild?«, presste sie hervor.
»Ich habe ihn getroffen. Mit meiner Kollegin zusammen.«
»Sie selbst?« Sie schaute ihn überrascht an. »Wann war das?«
Braig überlegte nicht lange: »Vorgestern, am Montag.«
»In Stuttgart?«
Er nickte. »Nicht weit davon. In Ludwigsburg. In der Wohnung Frau Bergs.«
»Vorgestern«, wiederholte sie. Ihr Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen.
»Er sollte im Auftrag Frau Dorns die Wohnung ausräumen.«
»Weshalb lassen Sie nach ihm suchen, wenn Sie ihn selbst getroffen haben?«
Braig seufzte, richtete sich im Sofa auf. »Weil wir vorgestern noch nicht wussten, dass er der Mörder sein könnte.«
»Aber jetzt bilden Sie sich ein, es zu wissen.«
Er gab keine Antwort, sah die Kassette auf dem Tisch liegen, griff nach ihr. »Sie haben noch mehr Fotos von ihm?« Er hatte den Plastikbehälter schon in der Hand, als sie plötzlich reagierte.
Sie sprang aus dem Sessel, warf sich auf den Tisch, versuchte, ihm die Kassette zu entreißen. Braig war um den Bruchteil einer Sekunde schneller. Er umklammerte die Box mit festem Griff, zog sie an sich.
Susanne Braun starrte ihn mit hasserfüllten Augen an. »Geben Sie mir die Kassette zurück.«
Er wandte seinen Blick nicht von ihr ab, öffnete den kleinen Behälter. »Was ist daran so geheimnisvoll?«
»Bitte«, sagte sie, »es ist mein Eigentum.«
Er zog die restlichen Bilder vor, erhob sich, trat ans Fenster, betrachtete sie der Reihe nach. Eine schlanke, sehr natürlich wirkende, junge Frau, die ihm bekannt vorkam. Plötzlich fiel es ihm ein: Das Foto, das ihm von Klara Berg mitgegeben worden war. Die alte Frau hatte es bei seinem Besuch von der Wand genommen und ihm überreicht. »Katja Dorn«, sagte er laut.
Susanne Braun reagierte nicht. Sie stand aufrecht hinter dem Tisch, ihr Gesicht von Tränen überströmt.
Braig betrachtete den Rest der Bilder, spürte sein schlechtes Gewissen, glaubte zu verstehen, weshalb sie die Fotos vor ihm hatte geheim halten wollen. Die Frau auf den Bildern begann Motiv um Motiv ihre Kleider abzulegen und sich umzuziehen. Er war schon so weit, sich bei seiner Gastgeberin für seine beruflich bedingte Neugier zu entschuldigen, streckte seine rechte Hand aus, um die Fotos zurückzugeben, als sein Blick auf die letzten Bilder fiel. Schlagartig wurde ihm alles klar.
»Mein Gott«, keuchte er, »das darf nicht wahr sein.«
Sie hatten sich dermaßen für dumm verkaufen lassen, dass es nur noch peinlich war.
30. Kapitel
Der Anruf des zur Überwachung eingeteilten Beamten erreichte das Amt kurz vor 12 Uhr.
»Seiter ist verschwunden«, erklärte der Mann.
Katrin Neundorf, die das Gespräch angenommen hatte, fuhr zusammen. »Seiter? Doch nicht der …«
»Gerd Seiter, der Rundfunk-Moderator.«
Wegen der Brisanz des Anrufs verlor sie ihre Fassung. »Was heißt verschwunden?«, schrie sie.
»Er ist weg. Nicht mehr da.«
Neundorf wurde hektisch. »Mein Gott, wissen sie überhaupt, was Sie da erzählen. Wer sind Sie überhaupt?«
»Polizeiobermeister Heinz vom Böblinger Revier. Ich bin seit heute Morgen sieben Uhr zur
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