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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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probieren, so schnell wie möglich. Es ist vielleicht ihre letzte Chance.«
    »Außerdem wäre es nicht das erste Verbrechen, das auf Ebersberg passiert«, hatte Felsentretter erklärt und zum Schloss hoch gezeigt, das vor ihnen in den Himmel gewachsen war.
    »Wieso?«
    Felsentretter hatte auf die Geschichte des ehemaligen Rittergutes verwiesen, war Ebersberg zu Beginn der Neuzeit doch zum Symbol von Unterdrückung und Willkürherrschaft tyrannischer Despoten geworden. Kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte der neue Besitzer des Gutes, Jeremias Vollmar Schenk von Winterstetten, die Bewohner der kleinen, zum Anwesen gehörenden Ortschaft entgegen den Verordnungen des Westfälischen Friedens gezwungen, mitten im evangelischen Württemberg zum Katholizismus zu wechseln. Jahrzehntelang von unmenschlicher Fron und rücksichtsloser Tyrannei terrorisiert, waren viele Ebersberger voller Verzweiflung geflohen, nur ein winziger Rest auf dem Gut verblieben.
    Braig hatte nicht auf die Erklärungen des Kollegen geachtet, war voller Angst, sie könnten zu spät kommen, den nächsten Anschlag Frau Dorns um Minuten versäumen.
    »Wo sind die Leute vom Film?«, rief er dem einsam vor dem kleinen Schloss seine Runden drehenden Wachmann zu.
    Der an Armen und Schulter unübersehbar mit kräftigen Muskelpaketen ausgestattete Mann drehte sich betont lässig um, sah keinen Anlass zu reagieren.
    Braig stieg über die Absperrung weg, wiederholte seine Frage.
    »Was wollen Sie?«, fragte der Uniformierte. »Autogramme gibt’s heute keine mehr.« Er kaute einen Kaugummi, schob ihn im Mund hin und her.
    Der Kommissar zog seinen Ausweis, hielt ihn dem anderen vors Gesicht. »Landeskriminalamt. Jetzt reden Sie endlich. Wo sind die Filmleute?«
    »Wollen Sie jemand verhaften?« Der Privatsheriff grinste süffisant.
    »Wo, verdammt noch mal, wo?« Braig spürte die Wut in sich hochkommen.
    »Ist ja schon gut«, erklärte der Mann. »Burg Reichenberg.«
    »Reichenberg?«
    »Die große Anlage über Oppenweiler. Dort drehen sie, die halbe Nacht. Sofern das Wetter mitspielt.«
    »Jetzt?«
    Der breitschultrige Uniformierte nickte. »Reichenberg ist für die Außenaufnahmen besser geeignet. Behauptet jedenfalls der Regisseur.«
    »Schwank?«, fragte Braig.
    »Genau. Sie kennen ihn? Typischer Fernseharsch. Eingebildet bis über beide Ohren.«
    Braig ließ den Mann ohne jeden Gruß stehen, kletterte über die Absperrung. Sie sprangen in ihr Auto, folgten der Straße steil abwärts ins Tal. Zehn Minuten später hatten sie Oppenweiler erreicht.
    Die gewaltige Anlage der Burg Reichenberg thronte hell angestrahlt auf einem etwa fünfzig Meter hohen Hügel am Rand des Murrtals. Der dem Gelände folgende fünfeckige Festungsring wurde vom runden, mit spitzer Dachzier gekrönten Bergfried malerisch überragt. Im 13. Jahrhundert erbaut, überwachten zunächst die Markgrafen von Baden, später dann die Württemberger an dieser Stelle den stark frequentierten Handelsweg zwischen der Salzstadt Hall und dem mittleren Neckartal.
    Braig hatte das märchenhaft anmutende Bauwerk schon oft im Vorbeifahren vom Zug oder der Straße aus bestaunt und sich jedes Mal darüber gewundert, dass die prächtige Anlage allem Anschein nach immer noch nicht als Touristenmagnet genutzt wurde. Er konnte das nur schwer nachvollziehen: Stellten die ins Tal vorspringenden, mit grünen Obstbaumwiesen bewachsenen Hügel und die bilderbuchartig sich in die Höhe wölbende Burg sowie die waldreichen Berge dahinter doch ein äußerst seltenes, einzigartig gut gelungenes Beispiel kultureller und landschaftlicher Symbiose dar. Dass Tausende Schaulustiger jährlich kitschige bayrische Schlösser bewunderten, Anlagen wie diese jedoch nicht einmal kannten, konnte wohl nur mit typisch schwäbischem Understatement erklärt werden, welches verhinderte, die Vorzüge des eigenen Landes ins richtige Bild zu setzen.
    Braig erkannte schon bei der Ausfahrt aus Oppenweiler einen kleinen Kran, der neben der Burg aufragte. Von mehreren Scheinwerfern in grelles Licht getaucht, schien das unmittelbar an die Festung angrenzende Gelände zum Zentrum der Filmaufnahmen geworden zu sein. Ein mit einer großen Kamera ausgerüsteter Mann hing mehrere Meter über dem Boden in einer Art Korb und ließ sich vom Tragarm des Krans je nach Bedarf hin- und herschwenken.
    »Die filmen«, brummte Felsentretter hinter ihm, »also lebt der Kerl noch.«
    Sie bogen von der Bundesstraße ab, fuhren den Hügel hoch. Der

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