Schwaben-Angst
Platz vor der Burg war weiträumig abgesperrt – von Scharen von Schaulustigen belagert. Grelles Scheinwerferlicht blendete die Augen.
Neundorf stellte das Auto am Rand eines vollkommen mit Fahrzeugen zugestellten Parkplatzes ab, folgte ihren Kollegen zum Drehort vor der Burg. Die Neugierigen standen Schulter an Schulter, die Hände vor dem Gesicht, um sich vor der Grelle des Lichts zu schützen.
Die Ermittler kämpften sich durch die Menschenmenge nach vorn, sahen die Barrikaden, mit denen der Platz vor der Burg freigehalten wurde. Breitschultrige Uniformierte, ausnahmslos Privatsheriffs, hielten die Schaulustigen in Schach.
Braig hatte Mühe, sich an die gleißende Helligkeit zu gewöhnen. Er hielt sich beide Hände über die Augen, versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Dies waren Filmaufnahmen: ein stoppelhaariger Mittfünfziger stand mitten auf dem Gelände, rief mit einem kleinen Megaphon verschiedenen Leuten Anweisungen zu. Sieben, acht Meter über dem Asphalt hing der Kameramann. Er starrte in sein Objektiv, unterhielt sich über ein Sprechfunkgerät mit dem Mann unten auf dem Platz. Der Kran schwenkte hin und her, ließ den Korb kräftig schaukeln. Erst nach mehreren Anläufen hatte er eine feste Position gefunden.
Braig sah, wie Neundorf mit einem der Privatsheriffs sprach, der Uniformierte dann auf den Stoppelhaarigen zeigte. Er schob sich zu seiner Kollegin durch, hatte im Geschrei der Megaphonstimme Schwierigkeiten, ihre Worte zu verstehen.
»Schwank. Das da ist er.«
Braig nickte, sah das heftige Gestikulieren des Regisseurs. Der Mann winkte einer jungen Frau, die an der Burgmauer lehnte, ließ sie quer über den Platz eilen. Er ruderte mit den Armen, spornte sie an, sich schneller zu bewegen.
»Auf, auf«, brüllte er durch sein Megaphon, »du bist keine alte Kuh, die ihren Arsch nicht vom Fleck bekommt!«
Die junge Frau nickte, rief ihm ein paar unverständliche Worte zu, lief zur Burg zurück. Sie war groß und schlank.
Blitzartig erinnerte sich Braig an Monique Gilbner, die Schauspielerin, die unterhalb des Württembergs die erste Leiche gefunden hatte: den toten Konrad Böhler. Ob dies entwürdigende Rennen hier eine Stufe ihrer Karriereleiter war? Er hatte sie völlig aus den Augen verloren – und auch jetzt verschwendete er kaum einen zweiten Gedanken an sie.
»Auf, auf, auf, die Titten raus«, schrie Schwank.
Die Schauspielerin richtete sich kerzengerade auf, beschleunigte ihren Schritt, eilte quer über den Platz. Der Regisseur zeigte sich kaum zufriedener, rief irgendetwas mit »Arsch« und »Titten«, ließ die Szene noch zweimal wiederholen. Dann wandte er sich zur Seite.
»Und jetzt der Bagger«, brüllte er, »aber genau im richtigen Moment!«
Braig hörte das Aufheulen eines Motors rechts von der Burg, sah, wie die Schauspielerin zu ihrer Jagd quer über den Platz ansetzte.
»Wo bleibt der gottverdammte Bagger?«, schrie Schwank.
Die Frau lief los, kerzengerade, ihre Brust deutlich vorgereckt, passierte die Mitte des Areals.
»Verdammt noch mal, der Bagger!« Der Regisseur brüllte neue Anweisungen ins Megaphon.
Die Frau musste zurück zur Burg, um dann wieder über den Platz zu eilen. Von dem Bagger war noch immer nichts zu sehen.
Schwank rannte in Richtung der Festung, bellte wütend neue Befehle in sein Megaphon, verschwand im Dunkel der Umgebung.
Plötzlich war das Aufheulen eines Motors zu hören. Auspuffschläge donnerten in die Nacht, quietschend setzte sich das Gefährt in Bewegung.
Schwank tauchte wieder ins Licht, schickte die Frau zur Burg zurück. Er rief mehrere Befehle in Richtung des Baggers, lief weiter zur Mitte des abgesperrten Areals, gab der Schauspielerin das Zeichen zum Aufbruch.
Diesmal kam der Bagger zu früh. Sie hatte sich gerade von der Mauer gelöst, als das blaue Gefährt mit lautem Motorengedröhn ins Licht tauchte.
»Halt, stopp, zurück!«, schrie Schwank. Er wedelte mit den Armen, rannte auf den Bagger zu, signalisierte dem Fahrer anzuhalten. Die Person am Steuer reagierte nicht, rumpelte über den Platz, geradewegs auf den Regisseur zu.
»Anhalten, stopp, zurück, du Arschloch!« brüllte der Stoppelhaarige. Seine Gesten wurden immer hektischer, das Gebrüll lauter, die Worte unflätiger und obszöner.
Der Baggerfahrer zeigte keine Reaktion. Mit aufheulendem Motor rumpelte das Gefährt auf Schwank zu, ließ den Mann schreien und gestikulieren.
Braig begriff erst in dem Moment, als der Stoppelhaarige in letzter Sekunde
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