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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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nervöses Tuscheln, dazu ab und an schrille, von einem Anflug von Hysterie kündende Schreie – die Nachricht vom Geschehen in der Kirche hatte sich offenbar herumgesprochen.
    Braig näherte sich dem Hauptportal, sah Polizeiobermeister Busch vom Backnanger Polizeirevier mit weit ausgebreiteten Armen am oberen Ende der Stufen vor dem doppelflügeligen Eingang stehen. Der Mann hatte Mühe, das Heer der Neugierigen davon abzuhalten, einen Blick ins Innere des Gotteshauses zu werfen.
    Steffen Braig schob sich bis zu ihm vor, grüßte ihn, erinnerte sich an mehrere Einsätze, bei denen sie sich begegnet waren. »Kein schöner Sonntag heute«, sagte er, bemerkte die aufmerksamen Gesichter der Menschen auf den Stufen der Treppe, die zum Eingang führte.
    Busch schüttelte den Kopf. »Weiß Gott nicht, nein.«
    »Sie sind schon lange hier?«
    »Fast eine Stunde.« Der Polizeiobermeister wies ins Innere des Gotteshauses. »Ihre Kollegen sind schon da. Der Typ sieht schrecklich aus. Grauenvoll. Und das in einer Kirche.« Er schüttelte wieder seinen Kopf, so intensiv, dass ihm die Mütze verrutschte, er rückte sie hastig zurecht.
    »Stimmt des wirklich, dass der erschosse worde isch?«, kreischte eine Frau hinter Braig.
    »Ond wie«, antwortete ein Mann, »’s ganze Gsicht soll he sei.«
    Der Kommissar drehte sich nicht um, nickte Busch zu, zog das Portal auf, trat in die Kirche. Das kleine Gotteshaus war von hektischer Betriebsamkeit erfüllt. Braig sah die dunklen Bänke, die mit hellem Holz verkleidete Empore, den sauberen Sisalteppich, der sich den Mittelgang entlang erstreckte. Am anderen Ende der Kirche tasteten zwei Männer, von grellen Scheinwerfern in gleißendes Licht getaucht, mit kleinen Pinseln vornübergebeugt die blank geputzten Fliesen vor dem Altar ab.
    »Der Abdruck hat höchstens Größe siebenunddreißig oder achtunddreißig«, hörte er eine Stimme sagen.
    Braig erkannte den Mann sofort, schob sich vorsichtig nach vorne. »Welcher Abdruck?«, fragte er laut.
    Helmut Rössle schob seinen Kopf nach links, warf Braig einen Blick zu. »Alle achtzig Deifel von Sindelfinge, hat’s dich heut au no erwischt?«
    Der Kommissar begrüßte ihn und Helmut Hutzenlaub, der direkt neben ihm arbeitete, sah unmittelbar vor der Kanzel den Rücken einer Person, die mit einem Gegenstand, den ihr Körper vollkommen verdeckte, beschäftigt schien.
    »Welcher Abdruck?«, wiederholte Braig.
    »Schuhe«, erklärte Rössle, »hier auf dem Teppich vor dem Altar.«
    »Größe siebenunddreißig oder achtunddreißig?«
    »Ganz genau. Und nicht vom Toten. Dessen Füße sind größer, mir hent sie schon überprüft.«
    Größe siebenunddreißig oder achtunddreißig. Wie in Rotenberg, arbeitete es in Braig. Er spürte, wie seine Hände zitterten.
    »Deiner Kollegin han i des au schon erzählt.«
    »Welcher Kollegin?«
    »Welcher wohl? Neundorf natürlich.«
    »Sie ist auch hier?« Braig wunderte sich. Neundorf hatte ebenfalls ihr freies Wochenende. Wer hatte sie alarmiert?
    »Mir hent sie vorhin in Waiblingen mitgnomme. Weißhaar hat uns den Auftrag gebe.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Sie spricht mit dem Pfarrer oder der Messnerin – i woiß es net genau.«
    Braig schaute zur Seite, sah, dass sich die Person vor der Kanzel aufrichtete und ihm das Gesicht zuwandte. Es war ein schmächtiger Mann mit dichtem, schwarzem Vollbart, dessen Augen müde aus einem bleichen Gesicht blickten. Braig erinnerte sich, ihn schon einmal gesehen zu haben.
    »Schweisser«, sagte der Mann, streckte ihm die Hand entgegen, »ich bin der Arzt.«
    Sie begrüßten sich, starrten auf den Toten. Dessen Gesicht war grauenhaft verzerrt, ähnlich wie Braig es nach dem Anblick am Freitag in Rotenberg erwartet hatte, der ganze Körper unnatürlich verkrampft. Auf der rechten Wange hatte er einen großen, hellroten Fleck. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, ein weißes, jetzt am Bauch vom Arzt aufgeschnittenes Hemd, dazu eine dunkelgrüne Krawatte. Wie bei der Leiche in Rotenberg war nirgends eine Verletzung zu erkennen. Braig hatte Mühe, das Alter des Mannes einzuschätzen. Über fünfzig, überlegte er, aber wie viel darüber?
    Angeekelt von den Gesichtszügen wandte er sich von dem Toten ab, lief ein paar Schritte von der Kanzel weg. »Gift«, sagte er, »Blausäure.«
    Dr. Schweisser nickte. »Ich bin zwar kein klinischer Pathologe, aber dieses Urteil traue ich mir dennoch zu. Die Muskulatur, die Flecken, die Körperhaltung, sogar der Geruch aus seinem Mund –

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