Schwaben-Angst
alles wie im Lehrbuch. Blausäure, ohne jede Frage.«
»Kennen wir seine Identität?«
»Ihr Kollege hat es notiert.« Der Arzt zeigte auf Rössle, der auf dem Boden unmittelbar vor der Orgel kniete und ein feines Pulver verstreute.
»Wie heißt der Mann?« Braig hatte sich dem Kriminaltechniker vorsichtig genähert, wartete, bis der seine Arbeit kurz unterbrach und zu ihm aufsah.
»Bernhard Hemmer.«
»Hämmer mit ä?«
»Noi, mit e. H – e – m – m –e –r.«
»Woher weißt du das?«
»Von dem Organisten, der ihn gfunde hat. Er kennt ihn.«
»Der Tote hat keine Papiere bei sich?«
»Nichts. Mir hent alles untersucht. Vergeblich.«
Braig zog sein kleines Notizbuch vor, schrieb sich den Namen auf. »Wie lange ist er tot? Was schätzen Sie?«
Dr. Schweisser zögerte mit seiner Antwort. »Das ist nicht einfach«, meinte er, »in der Kirche ist es frisch, kaum über zehn, zwölf Grad. Ich kann nur schätzen.«
»Versuchen Sie es, bitte.«
»Es ist wirklich nur ein Versuch.«
Braig nickte.
»Zwölf Stunden.«
»Gestern am späten Abend also.«
»So etwa. Aber ich …«
»Ja, das ist klar. Eine genauere Analyse erhalten wir erst nach der Obduktion. Er starb also auf keinen Fall heute Morgen.«
»Nein, das würde ich ausschließen.«
»Wurde er hier getötet?«, fragte er dann.
Dr. Schweisser wog den Kopf hin und her, fuhr sich durch seinen dichten Bart. »Ich weiß, die Kirche. Aber Menschen bleiben Menschen. Wenn Sie Blausäure zu sich genommen haben, zum Beispiel Zyanid in einer Flüssigkeit gelöst, bleibt Ihnen nicht mehr viel Zeit. Gleich, ob draußen in der Welt oder hier in der Kirche.«
Braig nickte, betrachtete die Kriminaltechniker, die den Boden um den Altar bearbeiteten.
»Und Selbstmord können wir wohl ausschließen«, ergänzte der Arzt, »alle Indizien sprechen dagegen. Es gibt kein Gefäß, aus dem er den Stoff hätte zu sich nehmen können. Ihre Kollegen haben alles abgesucht, vergeblich.«
Braig kam das alles bekannt vor. Dasselbe Geschehen wie in Rotenberg, überlegte er. Dort in der freien Natur im Weinberg und hier mitten in einer Kirche. »Dann müssen wir davon ausgehen, dass der Fußabdruck Größe siebenunddreißig, achtunddreißig der Person gehört, die Hemmer das Gift übergab.«
»Möglich isch es«, brummte Rössle.
»Was wollte der Mann in der Kirche? Wissen wir etwas darüber?«
»Orgel spielen.«
»Orgel spielen? Ich dachte, der Organist hat den Toten entdeckt?«
»Das stimmt. Hemmer kam nur ab und zu zum Üben hierher. So han ich es jedenfalls verstande. Aber frag den Organischten selbst. Der Kerle steht draußen und wartet auf dich.«
Braig nickte, begab sich zum Eingang, schob die Tür auf. Die Menschenmenge hatte sich noch näher an das Portal herangeschoben. Polizeiobermeister Busch schimpfte mit lauter Stimme.
»Sie können nicht in die Kirche, wie oft soll ich es noch wiederholen?« Er blickte zur Seite, sah Braig auf sich zu treten. »Zum Verrücktwerden«, schimpfte er, »diese Neugier.«
»Sollen wir noch Kollegen anfordern?«
Busch winkte mit der Hand ab. »Wir sind zu dritt. Eine Frau und zwei Männer. Das müsste doch reichen.«
Braig fragte nach dem Organisten, der den Toten gefunden hatte. Der uniformierte Kollege bat ihn zu warten, sah sich mit prüfendem Blick um.
»Wer isch der Tote?« kreischte eine Stimme.
»Findet heut koin Gottesdienst statt?«
Braig wusste nicht, was und wem er antworten sollte, sah Busch mit einem jungen Mann auf sich zu kommen.
»Hier ist er«, erklärte der Polizeiobermeister. »Herr Reck, der Organist.«
Der Kommissar wunderte sich, wie jung der Mann war, begrüßte ihn, stellte sich vor. »Sie haben den Toten gefunden?«
Reck nickte. Er war Anfang zwanzig, hatte blonde Locken, ein bleiches, von Nervosität geprägtes Gesicht.
Braig bat ihn, mit in die Kirche zu kommen und einige Fragen zu beantworten. Er öffnete das Portal, betrat gemeinsam mit seinem Gesprächspartner den Innenraum, ließ das aufgeregte Stimmengewirr hinter sich.
»Können wir uns irgendwo setzen?« Seine Stimme wirkte laut in der Kirche.
»Wenn du mit Gewalt Spure verwische willsch, gern. Mir brauchet no a Weile, bis mir alles untersucht hent.« Rössle baute sich schwer atmend vorne vor dem Altar auf. »Obwohl i net glaub, hier noch groß was zu finde. Immerhin hent mir das Profil von dene Schuh hier vor dem Altar.«
Braig entschuldigte sich bei Reck, bat ihn, im Stehen auf seine Fragen einzugehen. Er notierte sich die
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