Schwaben-Angst
›Zweigleisig fahren läuft nicht. Sie oder ich.‹«
»Sie kennen Frau Böhler persönlich?«
»Marion war oft hier. Vor allem damals, als er es mit der Tussi trieb. Leider hat sie meiner Mutter nicht mehr Mumm vermitteln können.«
Regine Hemmer lockerte die Decke, tänzelte hin und her. Braig sah, dass sie barfuß war, betrachtete ihre Füße. Schmale, schlanke Zehen mit kurzen Nägeln. Kleine, fast mädchenhafte Füße.
Unwillkürlich fiel es ihm ein. Größe siebenunddreißig konnte durchaus passen.
13. Kapitel
Was glaubst du?«, fragte er Katrin, als sie Marbach verlassen hatten und gerade bei Benningen über die Neckarbrücke fuhren, »traust du es ihr zu – gemeinsam mit Marion Böhler?«
»Der jungen Hemmer oder der Mutter?«
»Der Mutter? Nein.« Braig schüttelte den Kopf. »Der Tochter. Der Mutter fehlt die Energie. Jede Energie.«
»Du meinst, die beiden Frauen, Marion Böhler und Regine Hemmer, rechneten gemeinsam ab?«
»Wäre es nicht nachvollziehbar?«
»Wenn wir ihren Worten glauben können, was das Verhalten der beiden Ermordeten betrifft, schon.«
»Mir reicht das Gesicht der Frau. Die ist tot, mitten im Leben. Hast du eine Regung erkennen können, nur die Spur eines Gefühls? Der Alte muss ein bodenloses Schwein gewesen sein. Fernsehproduzent – was immer das heißen mag.«
Wir haben zwei Opfer, überlegte Braig, zwei scheinbar sehr freundliche, nicht mehr besonders junge Männer. Einen Weinbauer aus Leidenschaft, der sich nach Luft, Sonne und Gottes freier Natur sehnt und jede freie Minute darin genießt, und einen Orgelspieler, der seine Samstagmittage in Kirchen verbringt. Zwei richtig harmlose und grundanständige Personen. Doch kaum riskieren wir einen etwas genaueren Blick auf die Biografien der Herren, verschwindet das angenehme Bild wie eine Fata Morgana und zwei gewaltige Schatten verdunkeln alles. Der Weinbauer und der Orgelspieler verwandeln sich in rücksichtslose Egoisten, die hemmungslos ihre Ehefrauen betrügen.
Braig starrte nach draußen, sah die ins warme Licht der Sonne getauchte Landschaft. Sonntagmittag am Neckar, einer der vielleicht letzten Spätsommertage des Jahres. Drüben auf der anderen Seite des Flusses die schon ins erste Rotgold getauchten Rebhänge direkt über dem Wasser, darunter unzählige Radfahrerinnen und Radfahrer in T- Shirts und kurzen Hosen, mit Sonnenbrillen und Hüten, lachend und winkend unterwegs. Und wir haben nichts Besseres zu tun, als einem Verbrecher hinterherzujagen, der zwei Menschen mit Blausäure ermordet hat, arbeitete es in ihm.
»Glaubst du wirklich, die Böhler greift ausgerechnet zum Gift, um ihren Mann zu töten?«, fragte Neundorf.
»Du meinst, weil jeder sofort an ihren Beruf und den ungeklärten Einbruch in ihrer Apotheke denkt?«
»Zum Beispiel.«
»Vielleicht war es Arbeitsteilung. Die Böhler liefert das Material, Regine Hemmer erledigt den Rest. Freitags im Weinberg, samstags in der Kirche. Vielleicht sollten wir ihr Alibi überprüfen.«
Braig wusste selbst, wie vage das alles war, wie sehr er sich mit diesen Gedanken in unbewiesenen Spekulationen erging, spürte seine Kopfschmerzen, dazu den knurrenden Magen. 14 Uhr. Die Leute machen schon ihre Nachmittagsausflüge und wir haben seit dem Frühstück keine Zeit mehr gehabt, an uns zu denken.
»Tamm«, sagte Neundorf, deutete auf ein großes Hinweisschild an einer Kreuzung. »Bernhard wohnt noch dort, oder?«
Braig nickte, verstand, was sie meinte. Söhnle hatte immer noch nichts von sich hören lassen, obwohl er heute wieder zur Bereitschaft eingeteilt war. Er rief sich in Erinnerung, wie bleich er gestern ausgesehen hatte, dachte an das verkrampfte Zittern seines Körpers am Nachmittag. »Ruf ihn kurz an, ich habe seine Nummer gespeichert.« Er reichte ihr sein Handy, wartete auf Söhnles Reaktion.
Sie ließ es acht Mal läuten, gab dann auf.
»Vielleicht ist er im Amt.«
Neundorf wählte auch diese Nummer, erhielt keine Antwort.
»Weißhaar«, meinte Braig, »er muss Bescheid wissen.«
Sie läutete bei der Einsatzzentrale des LKA an, hatte den Kollegen am Apparat. »Ist Bernhard Söhnle bei euch?«
Weißhaar entschuldigte sich. »Tut mir Leid. Ich habe ihn mehrfach angerufen aber nicht erreicht. Er reagiert nicht. Keine Ahnung, was mit ihm los ist.«
»Wir sind in der Nähe seiner Wohnung«, sagte sie, »wir schauen vorbei.«
Es war kein großer Umweg. Hemmers Freundin lebte in Asperg, zwei Kilometer von Tamm entfernt.
»Du kennst die Straße
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