Schwaben-Angst
Situation war ihr unangenehm.
»Marion Böhler. Woher kennen Sie sie?« Er starrte gebannt auf sein Gegenüber, wartete auf eine Antwort.
»Vom Urlaub. Wir waren im selben Ort.«
»Wann war das?«
Julia Hemmer blieb still, schien zu überlegen. »Vor vier oder fünf Jahren.«
»Die beiden Böhlers und sie?« Je länger er an der Schwelle des Hauses stand, desto intensiver spürte er den Geruch, der aus dem Inneren kam. Die Wohnung verströmte das Aroma von Bohnerwachs. Braig betrachtete die Frau, stellte fest, dass der Geruch irgendwie zu ihr passte.
»Marion Böhler«, erklärte Julia Hemmer, »ihr Mann hockte damals bei diesem jungen Flittchen.«
Braig starrte sie überrascht an. »Konrad Böhler hatte seine Frau verlassen?«
»Sie lebten getrennt. Was glauben Sie, weshalb wir uns so gut verstanden?«
»Sie hatten beide das gleiche Schicksal erlitten?«, fragte Neundorf. Sie war auf die unterste Stufe getreten, schaute interessiert zu ihnen hoch.
Julia Hemmer nickte. »Marion war völlig am Ende. Es war das erste Mal, dass er sie betrogen hatte.«
»Bei Ihnen leider nicht.«
Sie schwieg einen Moment, presste die Worte dann gewaltsam aus sich heraus. »Bei mir nicht, nein. Er hinterging mich, kaum dass wir verheiratet waren.«
War das der gemeinsame Punkt, der die beiden Ermordeten miteinander verband? Zwei von ihren Männern betrogene Frauen, die jetzt ihren jahrelang verletzten Gefühlen Genüge getan hatten?
»Wann haben Sie Frau Böhler zum letzten Mal getroffen?«
»Vor drei, vier Monaten. Irgendwann im Mai. Ich weiß es nicht mehr genau. Wir fuhren zusammen nach Überlingen. Wie damals.«
»Seitdem nicht mehr?«
»Wir telefonierten. Warum?«
»Weil ihr Mann ebenfalls ermordet wurde.«
»Konrad?« Sie machte eine Pause, schien zu überlegen. »Sie lebten wieder zusammen.«
»Friedlich?«
»Gezwungenermaßen.«
Eine junge Frau, die in einen dunkelblauen Hausanzug gehüllt, lautlos die Treppe hinter der Eingangstür heruntergekommen war, schien noch nicht ganz ausgeschlafen. Sie hatte kurze, dunkle Haare, reichte Braig freundlich die Hand. »Regine Hemmer.«
Er stellte sich und seine Kollegin vor, richtete seinen Blick dann auf die noch bettwarme junge Person. Sie hatte ein hübsches, schmales Gesicht, strahlte so viel Lebensfreude aus, wie sie Braig in diesem Haus nie vermutet hätte.
»Wir haben leider eine schlechte Nachricht für Sie«, sagte er, »Ihr Vater ist tot.«
Regine Hemmer reagierte anders, als er es erwartet hatte. »Sie brauchen sich nicht zu bemühen. Mir geht es ähnlich wie meiner Mutter. Ich habe schon lange keinen Vater mehr. Für mich ist er seit Jahren tot.«
Braig schwieg überrascht, hatte der jungen Frau, die im Gegensatz zu ihrer sauertöpfischen Mutter so viel Charme und jugendliche Begeisterungsfähigkeit versprühte, diese Antwort nicht zugetraut.
»Sie können mich nicht verstehen, ich sehe es Ihnen an. Ich verlange es auch nicht. Aber irgendwann ist jedes Fass einmal voll und dann ist es endgültig genug. Und die dumme Ausrede, das sei in der Filmbranche so üblich, zieht dann auch nicht mehr.«
»Ihr Vater war in der Filmbranche tätig?« Braig ertappte sich bei dem Fehler, den Beruf Hemmers noch nicht eruiert zu haben.
»Fernsehproduzent«, erklärte Regine Hemmer mit verächtlich klingendem Tonfall, »und all die dummen, langbeinigen Girlies, die ihre Träume in Ludwigsburg wahr werden sahen, landeten der Reihe nach in seinem Bett.« Sie ließ sich von ihrer Mutter eine Decke geben, wickelte sie um ihren Körper.
Braig betrachtete sie nachdenklich. »Er hat es ausgenutzt.«
»Ausgenutzt? Quatsch – er ist ein Schwein. War, muss ich jetzt wohl sagen.« Sie wickelte sich noch fester in die Decke, wies mit einer Kopfbewegung auf ihre Mutter. »Und sie hat sich alles bieten lassen, bis zum Gehtnichtmehr. Schauen Sie sich doch an, was mit ihr los ist. Sie ist doch nur noch ein Wrack.«
Braig überlegte, ob Julia Hemmer früher ebenso lebenslustig gewesen war wie jetzt ihre Tochter. Hatte sie das sauertöpfische Gehabe allein der Enttäuschung über das jahrelange Verhalten ihres Mannes zu verdanken?
»Frau Böhler ließ sich diese Behandlung nicht gefallen. Respekt vor der Frau. Sie setzte ihrem Alten die Pistole auf die Brust und zwang ihn, sich zu entscheiden. Entweder die junge Tussi aus seinem Büro oder sie. Er wählte den bequemeren Weg, machte reinen Tisch.«
»Böhler gab seine Geliebte auf?«
»Seine Frau ließ ihm keine andere Chance.
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