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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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wenn er spätabends in übermüdetem Zustand, ausgepowert von kräftezehrenden Ermittlungen, das Fernsehgerät einschaltete und die seltsamen Auslassungen und Verrenkungen hüpfender und schreiender Gestalten vor sich sah, fragte er sich, ob die Analphabetenraten wirklich nur in afrikanischen Staaten Schwindel erregende Höhen erklommen.
    »Wie oft spielt Herr Hemmer Orgel?«, fragte Neundorf.
    Die junge Frau fühlte sich aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen, verzog ihr Gesicht. Dicke Falten machten sich auf ihrer Stirn breit. »Orgel? Samstags, manchmal. Es ist ein Tick von ihm.« Sie brachte ihre Geringschätzung für das Hobby ihres Partners deutlich zum Ausdruck.
    »Anschließend kommt er immer nach Hause?«
    »Ja, immer.«
    Die Antwort kam Braig etwas zu schnell. Regine Hemmer hatte davon gesprochen, dass viele der jungen Frauen, die sich für einen Auftritt in einer der Shows bei ihrem Vater bewarben, in seinem Bett landeten. Ob er diese Angewohnheit trotz seiner Liaison mit Beatrice Brennerle beibehalten hatte?
    »Um wie viel Uhr etwa kommt er normalerweise zurück?«
    »Um wie viel Uhr?« Sie zuckte mit der Schulter. »Das ist verschieden. Je nachdem.«
    »Er hatte nicht anschließend ab und an etwas vor, etwa ein Rendezvous?«, fragte Braig bewusst taktlos.
    Beatrice Brennerle schrak zusammen. »Ein Rendezvous? Nein. Mit wem denn?«
    »Darüber wissen Sie sicher besser Bescheid als wir.«
    »Nein. Wirklich nicht.«
    »Mit anderen Nachwuchsstars zum Beispiel«, erklärte Neundorf mit anzüglicher Betonung. Es war nicht zu überhören, was sie andeuten wollte.
    Beatrice Brennerle schossen Tränen in die Augen. Sie kämpfte mit sich, schluckte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, von was Sie sprechen.«
    Ihre Körpersprache sagte mehr als alle Worte: Hemmer war wohl wirklich ein solch skrupelloser Typ, wie ihn seine Tochter beschrieben hatte. Er schien jede Chance seines Berufs genutzt zu haben, sich mit ständig wechselndem Frischfleisch zu versorgen, überlegte Braig voller Sarkasmus. Somit hatte auch Beatrice Brennerle Grund, Hass auf den Mann zu empfinden. Fragte sich nur, ob diese Emotionen so intensiv waren, dass sie sich zu einem Mord an ihrem Partner hatte hinreißen lassen.
    »Sie wissen es schon«, beharrte Neundorf, »Sie verstehen uns sehr gut.«
    »Was ist mit Bernie? Warum kommt er nicht?«
    Braig spürte, dass ihr seine Kollegin reinen Wein einschenken wollte, kam Neundorf zuvor. »Wissen Sie etwas von Drohbriefen, die Herr Hemmer in letzter Zeit erhielt?«
    Überrascht sah die junge Frau zu ihm auf. »Drohbriefe?«
    »Schriftliche Drohungen. Vielleicht auch telefonische.«
    Beatrice Brennerle schüttelte vorsichtig den Kopf. »Nein. Wieso? Was ist mit ihm?«
    »Er erzählte nichts von Drohungen gegen ihn?«
    Sie zögerte mit der Antwort, rang sich dann zu einem »Nein« durch.
    »Er ist tot«, sagte Neundorf, »Bernhard Hemmer wurde ermordet.«
    »Er-mor …« Die restlichen Silben blieben der jungen Frau im Hals stecken, ein heftiger Weinkrampf erfasste ihren ganzen Körper. Sie starrte sie aus großen, völlig in Tränen schwimmenden Augen an, krümmte sich zusammen, zog den Oberkörper nach unten, bis sie fast die Form einer Kugel angenommen hatte, schien in das Sofa versinken zu wollen.
    Braig verfolgte ihre Reaktion, suchte nach einem Papiertaschentuch, fand es in seiner linken Hosentasche. Er streckte es der jungen Frau entgegen, bemerkte, dass sie ihn überhaupt nicht wahrnahm, zog es wieder zurück.
    »Vielleicht sollten wir einen Arzt rufen«, flüsterte Neundorf.
    Braig stand auf, suchte nach einem Telefon samt Adressbuch, sah nur die Pflanzen. Er zuckte mit der Schulter, setzte sich wieder. »Sie ist jung.«
    »Vielleicht war er die Liebe ihres Lebens.«
    »Dann kann sie einem wirklich Leid tun.«
    Beatrice Brennerle fand nur langsam wieder zu sich. Ihr Schluchzen verlor an Intensität, nach und nach schob sich ihr Oberkörper wieder in die Höhe. Braig merkte, dass ihre Augen die Umgebung wieder wahrnahmen, reichte ihr erneut das Papiertaschentuch.
    Diesmal nahm sie es an. Ihre Wangen waren vom Lidschatten verfärbt, die Partie über den Lippen glänzte rot. Sie wischte mit dem Tuch übers Gesicht, versuchte, sich die Augen zu trocknen.
    »Benötigen Sie einen Spiegel?«, fragte Braig.
    Sie schüttelte den Kopf, rieb mit der Rückseite ihrer Rechten die Wangen trocken.
    Braig und Neundorf warteten, bis sie wieder einigermaßen zu sich gefunden hatte. Ihr Gesicht hatte

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