Schwaben-Angst
seine natürliche Farbe verloren, sah mitgenommen aus. Sie hatte von Hemmers Tod nichts gewusst, war sich Braig sicher, so viel Show kann selbst dieses Sternchen nicht vortäuschen.
Das Telefon läutete, irgendwo in einem anderen Raum. Beatrice Brennerle reagierte nicht, richtete sich nur langsam wieder auf. Nach fünf, sechs Versuchen herrschte wieder Ruhe.
»Wer, wer war es?«, stotterte sie mit zitternder Stimme.
»Wir wissen es nicht.«
Sie fragte nicht weiter, vergrub das Gesicht in den Händen.
»Frau Brennerle, sollen wir jemand rufen, mit dem Sie reden können?«
Sie reagierte erst nach einer Weile, schüttelte dann den Kopf. »Danke, lassen Sie mich bitte in Ruhe.«
Braig nickte, sah auf die Uhr: Zehn vor fünf. Der Sonntag näherte sich seinem Ende. Er musste noch ins Amt, mit Hofmann sprechen, eine Pressekonferenz einberufen. Sicher war die Neuigkeit längst in aller Journalisten Munde. Die Presse wollte für die Montagsausgaben garantiert detaillierte Informationen einholen.
Er sah, wie sich Neundorf erhob, wiederholte seinen Vorschlag. »Wir rufen gern jemanden, der mit Ihnen spricht.«
Beatrice Brennerle schüttelte den Kopf, fragte nicht nach dem Wo, nicht nach dem Wie. Sie war viel zu erschöpft dazu.
15. Kapitel
Als sie draußen auf der Straße standen und auf die Fassade des Hauses starrten, fiel Braig ein, was er vergessen hatte. »Die Noten Hemmers«, sagte er, »wir wollten überprüfen, ob er sie in der Kirche dabei hatte und was für einen Stift er für seine Anmerkungen benutzte.«
Neundorf nickte, winkte trotzdem ab. »Lass gut sein, morgen ist auch noch ein Tag. Die Frau ist fix und alle, ich glaube nicht, dass die uns noch irgendetwas erklären kann.«
Er stimmte ihr zu, schlug ihr vor, sie nach Hause zu bringen und dann selbst zum Abschluss des Sonntags den Oberstaatsanwalt zu informieren und die Pressekonferenz vorzubereiten.
»Du schaffst es allein?«
»Viel kann ich sowieso nicht berichten.«
Neundorf zeigte sich einverstanden, war froh, ihre Mutter und das Baby nicht länger warten lassen zu müssen. »Ich hoffe nur, dass wir bald weiterkommen. Ab morgen früh haben wir die ganze Pressemeute auf dem Hals. Zwei Giftmorde – mein Gott, ich kann mir jetzt schon ausmalen, welchen Aufruhr das gibt.«
Braig wusste, wie Recht sie hatte. Er starrte nach draußen, sah, wie die Sonne hinter dem Hohenasperg verschwand. Ein schlechtes Wetterzeichen, überlegte er, dieses kraftlos bleiche Gelb statt dem gewohnten romantischen Rot. Sollte die kurze Schönwetterperiode schon wieder zu Ende gehen?
Er wusste es nicht, hatte keine Lust, das Radio einzuschalten, um einen aktuellen Wetterbericht zu hören. Das ewig gleiche rockig-poppige Gedudel, verbunden mit all dem dämlich hohlen Gequatsche schreckte zu sehr ab, als dass er es sich freiwillig antun wollte. Soll es ruhig wieder regnen und kalt werden, überlegte Braig, er kam vor lauter Arbeit ohnehin nicht dazu, Sonne und blauen Himmel zu genießen. Nässe und unwirtlicher Schmuddel ließen es vielleicht nicht ganz so schwer fallen, Verrückten hinterherzujagen, die nichts Besseres zu tun hatten, als andere Leute mit Blausäure ins Jenseits zu befördern. Soll es ruhig regnen oder auch schneien, sollen Stürme übers Land toben, Orkanen gleich, das entsprach ohnehin eher seiner Stimmung als spätsommerlich blauer Himmel, Sonnenschein und laue Temperaturen.
Diese, Braigs Stimmung war auf einem Tiefpunkt angelangt, als er Neundorf in Waiblingen abgesetzt und das Landeskriminalamt in Bad Cannstatt erreicht hatte. Abgekämpft fuhr er nach oben, lief in sein Büro. Sein Kopf drohte zu zerspringen, Müdigkeit lähmte seine Gedanken. Er wusste nicht, was er dem Oberstaatsanwalt alles berichten, wie er die offiziellen Texte für die Pressekonferenz formulieren sollte. Er lief zum Waschbecken, erfrischte sich wie gewohnt mit kaltem Wasser.
Sein Kreislauf kam nur langsam wieder auf Touren. Er setzte eine Tasse Kaffee auf, bat den Kollegen Stöhr, der Spätdienst hatte, die Medienvertreter für 19 Uhr zur lange erwarteten Pressekonferenz einzuladen, läutete dann bei Hofmann an. Dieser sagte sofort zu. Eine Teilnahme Hofmanns nahm von vornherein allen Vorwürfen die Spitze, die Polizei bemühe sich zu wenig um die Sicherheit der besorgten Bevölkerung. Allein die Anwesenheit eines der leitenden Oberstaatsanwälte bewies das Gegenteil und konnte vielleicht dazu beitragen, die lautesten Schreier der wortgewaltigen Boulevard-Journaille mit
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