Schwaben-Angst
Frage.
Braig versah den Zeitrahmen mit einem dicken Pfeil, damit er auf keinen Fall vergaß, ihn vor den Journalisten zu erwähnen. Vielleicht war am späten Samstag doch eine Person beobachtet worden, die sich in die Großaspacher Juliana-Kirche geschlichen oder sich – nach der Tat – von dort davongestohlen hatte. So unwahrscheinlich es schien, oft hatten Zufälle in scheinbar ausweglosen Situationen dazu beigetragen, eine Ermittlung entscheidend weiterzuführen oder sie gar erfolgreich zu beenden. Man durfte die Hoffnung darauf nie ganz aufgeben.
Braig wurde vom Läuten des Telefons überrascht. Jürgen Hofmann war am Apparat.
»Ich bin im Haus. Reicht es noch zu einem kurzen Gespräch?«
Braig sagte zu, nahm seine Papiere, verließ sein Büro. Die Räume der Staatsanwaltschaft lagen am entgegengesetzten Ende des Gebäudes, zwei Stockwerke tiefer. Er nahm die Treppen, hatte sie in wenigen Minuten erreicht.
»Das wird kein Honigschlecken«, meinte der Oberstaatsanwalt, nachdem sie sich begrüßt und in der kleinen Sitzecke seines Büros Platz genommen hatten. »Heute kann ich Ihnen nicht mal einen ›Earl Grey‹ anbieten. Wir haben nur noch fünfzehn Minuten.«
Braig sah auf seine Uhr, merkte, dass ihnen wirklich nicht mehr viel Zeit bis zum Beginn der Pressekonferenz blieb.
»Ein Serientäter. Müssen wir davon ausgehen?«
»Ich fürchte, ja. Blausäure-Morde in zeitlich und räumlich so unmittelbarer Nähe beruhen kaum auf Zufall. Außerdem gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Opfern.« Braig schilderte die Urlaubsbekanntschaft der beiden von ihren Ehemännern betrogenen Frauen, ging auf die aggressiven Kommentare Regine Hemmers über ihren Vater ein.
»Sie glauben an eine gemeinsame Aktion der beiden Frauen? Rache für das erlittene Leid?«
Braig wollte nicht direkt zustimmen. »Frau Hemmer auf keinen Fall. Ihr fehlt jegliches Selbstvertrauen. Die Frau ist ein seelisches Wrack.«
»Es sei denn, sie wurde von Frau Böhler dazu getrieben.«
»Auch dann nicht. Ich fürchte, sie ist zu nichts mehr zu bewegen. Julia Hemmers Lebenswille scheint mir auf ewige Zeit gebrochen.«
Hofmann notierte sich Braigs Einschätzung, fragte dann nach Regine Hemmer. »Sie denken an die Tochter?«
»Es ist noch zu früh, das zu beurteilen.« Braig blieb vorsichtig. »Wir haben nur kurz mit ihr gesprochen.«
»Rein theoretisch scheinen Sie es ihr aber zuzutrauen.«
»Rein theoretisch, ja.«
»Frau Neundorf stimmt Ihnen zu?«
»Es ist schwierig. Was das betrifft: Sie hatte noch keine Gelegenheit, Marion Böhler kennen zu lernen.«
Hofmann nickte, überflog seine Notizen. »Regine Hemmer und Marion Böhler. Beide gemeinsam?«
Braig wog den Kopf hin und her. »Oder mit Arbeitsteilung. Die eine liefert das Gift, die andere überreicht es den Opfern. Die Männer müssen die Getränke, wahrscheinlich Wein, freiwillig zu sich genommen haben. Würden Sie ablehnen, wenn eine charmante, junge Frau Sie einlädt, mit ihr ein paar Schluck zu trinken?«
»Wie steht es mit einem Alibi?«
»Das müssen wir noch genauer überprüfen. Marion Böhler hat keines, zumindest nicht für den Todeszeitpunkt ihres Mannes.«
»Die Fußabdrücke?«
»Die Techniker sind noch nicht so weit. Wenn aber auch Regine Hemmer nicht nachweisen kann, wo sie zur jeweiligen Tatzeit war und der Vergleich der Abdrücke belegt, dass in Rotenberg und in Großaspach derselbe Täter am Werk war, müssen wir sowohl Marion Böhlers als auch Regine Hemmers Schuhe untersuchen. Wenn die beiden freiwillig nicht zustimmen, möchte ich Sie bitten, sich um die richterliche Erlaubnis zu kümmern.«
Jürgen Hofmann hatte keinen Einwand. »Das dürfte nicht schwierig sein.« Er zögerte, überlegte einen Moment. »Dennoch wäre es mir lieber, wir versuchen es zuerst auf freiwilliger Basis. Schließlich sind es nur Vermutungen, was wir bisher zu bieten haben.« Er sah auf seine Uhr, erhob sich von seinem Platz. »Was ist übrigens mit dem Drohbrief, den Sie in Böhlers Büro fanden?«, fragte er.
»Der liegt bei im Labor und wird untersucht. Bisher habe ich noch nichts darüber gehört.«
»Gibt es eine Parallele bei Hemmer? Ich meine, wurde der Mann ebenfalls bedroht?«
Braig schüttelte den Kopf. »Bisher ist mir nichts bekannt. Ich war allerdings noch nicht in Hemmers Firma. Seine Frau und seine Lebensgefährtin erwähnten aber nichts davon.«
»Dann sollten Sie sich morgen früh darum kümmern. Nicht, dass wir eine wichtige Spur übersehen.«
Braig
Weitere Kostenlose Bücher