Schwaben-Angst
Braigs Stimme drohte sich zu überschlagen.
»So weit sind wir noch nicht. Die Idee mit der Briefzustellerin kam ihm erst vor wenigen Minuten.«
»Es war ein Kurierdienst, sagt er? Wie heißt das Unternehmen, das muss sich doch feststellen lassen!«
Neundorf versuchte, ihren Kollegen zu beruhigen. »Das habe ich schon getan. Herr Hoch hat mir die Frachtpapiere übergeben. Der Name der Fahrerin ist leider nicht festzustellen. Nur der des Kurierdienstes.«
»Und? Wie heißt der Betrieb?«
»Kurierdienst Larch.«
»Larch? Nie gehört.«
»Scheint ein kleineres Unternehmen zu sein. Es hat seinen Sitz, deshalb rufe ich dich an, in Ludwigsburg.«
»Hier?«
»Genau. In der Myliusstraße.« Sie nannte ihm die Hausnummer. »Würdest du dich bitte um die Identität der Zustellerin kümmern?«
»Kein Problem«, sagte Braig, »hast du die Telefonnummer?«
Neundorf gab sie ihm, bedankte sich für seine Hilfe.
Schon wieder eine Frau, überlegte er. Frauen schienen in dieser Mordserie eine wichtige Rolle zu spielen. Nicht wie in den meisten Verbrechen als Opfer, sondern, als in irgendeiner Weise in das Geschehen verwickelte Personen.
Er nahm den Aktenordner, den er gerade überprüft hatte, vom Schreibtisch, stellte ihn zurück in den Wandschrank. War es möglich, dass die Briefzustellerin in die Sache involviert war? Dass die Abdrücke in Rotenberg und in der Kirche in Großaspach nicht von Marion Böhler oder Regine Hemmer, sondern von dieser Frau stammten? Aber was sollte die – noch – Unbekannte mit den beiden ermordeten Männern zu tun haben?
Braig wählte die Nummer des Kurierdienstes. Eine weibliche Stimme auf einem Anrufbeantworter teilte ihm mit, dass das Büro im Moment leider unbesetzt, ab 11 Uhr aber garantiert wieder jemand zu erreichen sei. Man hoffe auf Verständnis für dieses kleine Malheur und freue sich darauf, in wenigen Minuten miteinander ins Gespräch zu kommen.
Braig schaute auf seine Uhr: 10.45 Uhr. Er ging ins Vorzimmer, fragte Frau Lieb nach der Myliusstraße.
»Fünfhundert Meter von hier, vorne links. Sie führt kerzengerade auf den Bahnhof zu.«
Braig bedankte sich für die Auskunft, bat die Sekretärin, nichts anzurühren, aber seinen Kollegen behilflich zu sein, falls diese Fragen hätten, verabschiedete sich. Er lief die Treppe hinunter, sah Rauleder und Hutzenlaub über ein zerrissenes Papier vertieft vor der Tonne stehen.
»Habt ihr etwas entdeckt?«
Lars Rauleder streckte ihm die Überreste eines mit Schreibmaschine oder Computer beschriebenen Blattes entgegen, dessen obere und untere Teile fehlten. Er nahm es vorsichtig an, erkannte sofort die Brisanz des Textes.
elenden Kinderschänder entlarven. Wenn du mir wirklich keine Chance in einer Show gibst, wird die Polizei Arbeit bekommen. Ich bin erst 15. Das kannst du glauben oder nicht. Du hast es gewollt, ich nicht. Wenn du meinst, ich lasse mir das bieten, hast du dich getäuscht. Du wirst büßen. Wahrscheinlich legst du viele Mädchen flach, aber damit hat es jetzt ein
Der Riss ging mitten durch den Text, beendete das Schreiben abrupt.
»Er könnte es sein«, meinte Rauleder, »oder?«
Braig benötigte keine zweite Durchsicht der Sätze, um zu begreifen, dass es sich um eine Drohung handelte. Die aufgeführten Verhaltensweisen kamen ihm bekannt vor. Regine Hemmer hatte sich deutlich genug darüber ausgelassen.
»Sehr gut«, sagte er, »den Auftritt in einer Show kann hier nur einer vermitteln. Und das Flachlegen junger Mädchen scheint Hemmers Spezialität gewesen zu sein. Wo habt ihr das gefunden?«
Hutzenlaub deutete auf einen Stapel ungeordneter Papiere. »Es handelt sich wohl um eine komplette Ladung aus Hemmers Papierkorb. Nur die restlichen Stücke des Blattes waren bisher nicht dabei.«
Braig betrachtete die ausgefransten Seiten des Papiers, hielt es in die Höhe. »Er hat es selbst zerrissen, oder?«
Rauleder nickte. »Vor Wut, schätze ich mal.«
Braig bat seine Kollegen, einen Moment zu warten, eilte nochmals die Treppe hoch. Er lief in Hemmers Büro und holte den Drohbrief, den er in der Schublade hinterlegt hatte. Als er wieder unten im Hausflur angelangt war, hielt er die beiden Blätter nebeneinander. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass sowohl das Papier als auch das Schriftbild keinerlei Ähnlichkeit miteinander zeigten.
»Das muss nichts bedeuten«, meinte Hutzenlaub, »selbst die einfachsten Schreibprogramme bieten heute völlig verschiedene Schriftarten an. Und wenn ich zu Hause in
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