Schwaben-Filz
zu dem kaum ein normaler Mensch sein Haus oder seine Wohnung bereits verlassen hatte.
»Weissmann heißt er, Gerd Weissmann«, hatte Hellner widerstrebend auf ihr hartnäckiges Fragen geantwortet und als Wohnort des Mannes Berlin angegeben.
»Berlin?« Fällt dir keine bessere Ausrede ein, hatte ihr misstrauischer Blick unterschwellig signalisiert.
»Beruflich bedingt«, hatte er ohne besondere Aufforderung hinzugefügt.
»Was arbeitet er?«
»Bei der Deutschen Bahn. Als Ingenieur.«
»In welchem Verhältnis stehen Sie zu Herrn Weissmann?«
»Was geht Sie das an?«
Neundorf hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. »Welchen Grund hatte er, meinen Kollegen aus dem Weg zu gehen?«
»Ihren Kollegen? Weshalb sollte er irgendjemand aus dem Weg gehen wollen?«
»Das frage ich Sie.«
Dolde und Rauleder hatten unter den misstrauischen Blicken des Mannes damit begonnen, den Raum zu untersuchen. Nur langsam und mit spürbarem Widerwillen hatte er sich von ihnen ab- und ihr wieder zugewandt.
»Gerd hatte heute Morgen eine wichtige Besprechung, das habe ich Ihnen vorhin erzählt.«
»Eine wichtige Besprechung morgens um sechs? Das glauben Sie doch selbst nicht.«
»Wer redet denn von morgens um sechs? Schon mal was von Anfahrt gehört? Die Besprechung findet nicht auf dem Bürgersteig vor meinem Grundstück statt.«
»Wo dann?«
»In Stuttgart. Acht Uhr, soviel ich weiß.«
Neundorf hatte einen Blick auf ihr Zifferblatt geworfen und dabei festgestellt, dass seither über zwei Stunden vergangen waren. »Wo soll das gewesen sein und wie lange?«
»Wie lange? Wissen Sie vorher auf die Sekunde genau, wie lange Sie benötigen, einem Unschuldigen eine Straftat unterzujubeln?«
»Wo das stattfinden sollte, habe ich gefragt«, hatte sie wiederholt, ihre Aggressionen mühsam unterdrückend.
»Bei
Sun and Gold
. Falls Ihnen das etwas sagt.«
»Was soll das sein?«
»Ein Ingenieurbüro. Gerd will sich beruflich neu orientieren.«
»Dann geht es um eine Art Bewerbungsgespräch?« Neundorfs Skepsis war nicht gewichen. Sie hatte mit sich gekämpft, inwieweit sie den Worten des Mannes Glauben schenken konnte.
»Wenn Ihnen der Ausdruck gefällt – bitte.«
Sie hatte sich Weissmanns Mobilnummer geben lassen, den Mann nach kurzem Warten erreicht, sich dann mit ihrem Namen und ihrem Beruf vorgestellt.
»Landeskriminalamt?«, hatte er gefragt, in einem Tonfall, als ob er längst mit ihrem Anruf gerechnet hätte. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Neundorf hatte nicht direkt geantwortet, stattdessen auf ein sofortiges persönliches Gespräch gedrängt.
Weissmanns Reaktion war weitaus freundlicher ausgefallen, als sie befürchtet hatte.
»Ein persönliches Gespräch? Mit einer leibhaftigen Kriminalkommissarin? Aber gerne doch, jederzeit. Wann wollen wir uns treffen und wo?« Er hatte ihr erklärt, dass er gerade auf dem Weg in die Stuttgarter Innenstadt war, um sich dort verschiedene Bücher anzuschauen, dann das Café gegenüber von Lindemanns Buchhandlung als Treffpunkt vereinbart.
»11.30 Uhr«, hatte Neundorf vorgeschlagen. »Okay?«
Weissmanns Zustimmung war ohne Zögern erfolgt.
»Und? Zufrieden?«, hatte Hellner gelästert, nachdem sie das Gespräch beendet und das Handy weggesteckt hatte. »Haben Sie ihn jetzt endlich, den Killer?«
Sie hatte nicht reagiert, stattdessen Dolde und Rauleder gebeten, die Untersuchung fortzusetzen und sie über das Ergebnis zu informieren, hatte das Haus dann verlassen. Draußen war Ruhe eingekehrt. Die Leiche war längst abgeholt. Das Interesse der Schaulustigen hatte deutlich nachgelassen. Nur noch eine Handvoll Frauen und Männer standen auf dem Gehweg und verfolgten ihre Schritte, von Polizeiobermeisterin Kürzinger und ihrem Kollegen Reule aufmerksam beobachtet.
Neundorf schob sich an den Holzstapeln vorbei zur Gartentür, sah die junge Beamtin mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Zaun stehen. Ein mit einer blauen Arbeitsmontur bekleideter Mann löste sich aus der Gruppe, öffnete die Gartentür des Anwesens, das Hellners Grundstück unmittelbar benachbart war, und lief auf das kleine, zitronengelb gestrichene Haus zu. Die Kommissarin sah den dicken Schriftzug auf der Jacke des Mannes
BACH BAU
, winkte ihm, nur durch einen Maschendrahtzaun von ihm getrennt, zu. »Herr Bach?«
Der Angesprochene blieb stehen. »Ja?«
Neundorf lief zur Gartentür und auf den Gehweg, betrat dann das Grundstück des Nachbarn. »Ich komme vom Landeskriminalamt«, erklärte
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