Schwaben-Filz
hatte er auf die angesichts der Gaffer oben auf dem Hügel längst wieder mit der Plane bedeckte Leiche gestarrt, unfähig, zu seiner sonst so sprachgewandten Aussagekraft zu finden. Erst die unaufhörlich auf sie einprasselnden Bemerkungen der Neugierigen hatten ihn langsam wieder in die Realität eintauchen lassen.
»A Leich im Schlosspark. Wahnsinn! Wenn i des hoit Abend moinere Alte erzähl, die glaubt mir koi Wort.«
»Wann schaffet die Granatedackel endlich die Plane weg? I will den Dote fotografiere!«
Söderhofer hatte empört in die Höhe gestarrt, sich dann dem Kommissar zugewandt. »Diese Investigation, Braig …«, er hatte kurz den Faden verloren, nach Worten gesucht, sie nur zögernd gefunden. »Wir müssen unseren gesamten Brain mobilisieren. Das ist kein Jux, das ist erst der Anfang.«
Braig hatte sofort verstanden, weshalb der Mann das Bekennerschreiben so ernst nahm. Söderhofer kannte die Drohungen, die gegen Grobe ausgesprochen worden waren, er wusste um ihren Inhalt, wahrscheinlich auch bis ins Detail genau um die Person und den Anlass, von der und aus dem heraus sie formuliert worden waren. Der Staatsanwalt hatte offensichtlich keine Zweifel, dass sie nicht auf die leichte Schulter genommen werden durften, zudem eventuell weitere Personen davon betroffen waren, sonst hätte er dem bei der Leiche gefundenen Schreiben nicht diese Bedeutung beigemessen. Braig war sich darüber im Klaren, dass er diese Haltung Söderhofers respektieren musste, auch wenn das Blatt des aufgemalten Schweins wegen auf den ersten Blick lustig wirken mochte. Er durfte es nicht leichtfertig als dummes Pamphlet eines irregeleiteten Verrückten, der sich wichtig machen wollte, abtun. Wenn es wirklich vom Mörder stammte – und davon mussten sie bis zum Beweis des Gegenteils ausgehen – dann war mit seiner Aussage nicht zu spaßen: Er hatte deutlich genug, auf Kosten des Lebens Rolf Grobes, gezeigt, dass er zu allem fähig war und keine Grenzen kannte. Keine Grenzen, auch was das Leben anderer Menschen betraf?
»Das zweite Schwein«, hatte Schöffler aus den beiden Sätzen zitiert, »heißt das, es gibt schon ein erstes Opfer?«
Braig war ratlos, musste sich zuerst um eine Strategie bemühen, die Ermittlungen in die Wege zu leiten. »Ich lasse alle ungeklärten Todesfälle der letzten Zeit überprüfen, um eine Antwort zu finden. Zuerst werde ich mich aber detailliert über die Drohungen gegen Grobe informieren, was deren Anlass war und ob da eventuell noch andere Personen beteiligt sind. Dann muss ich mit dem Mann sprechen, von dem sie stammen. Das hat absoluten Vorrang. Was wir weiterhin angehen müssen, ist die Frage, ob Grobe wirklich gestern Abend mit diesem Schmeisser zusammensaß, sich dann aber gegen 23.15 Uhr von ihm verabschiedete. Wenn er das Lokal tatsächlich allein verließ, müssen wir dahinterkommen, was er anschließend unternahm, wohin er ging und ob er eventuell vorhatte, noch jemand anderen zu treffen.« Er zog einen Block und einen Stift aus der Tasche, brachte seine Gedanken in Stichworten zu Papier.
»Der genaue Todeszeitpunkt«, ergänzte Schöffler. »Du musst dich bei dem Gerichtsmediziner informieren.«
Braig bedankte sich für den Hinweis des Spurensicherers, sah die zerfurchte Miene des Staatsanwalts.
»Sonja«, murmelte der Mann. »Wer sagt es ihr?«
Der Kommissar betrachtete die hünenhafte Gestalt neben sich, hatte Mühe, nicht zu einer ironischen Replik zu greifen. Der sonst so wortgewaltige, niemals um eine aufgeblasene, seine angebliche Tatkraft spiegelnde Phrase verlegene Mensch fürchtete sich offensichtlich davor, seiner Bekannten die Wahrheit über den Verbleib ihres Ehepartners mitzuteilen. Der selbstgerechte, Tag um Tag seine persönliche Umgebung schikanierende Staatsanwalt bettelte um Hilfe.
Braig sah keine Notwendigkeit, den Mann so schnell aus seiner Verantwortung zu entlassen. »Das übernehmen am besten Sie«, antwortete er in beiläufigem Tonfall. »Sie sind der Einzige, der die Frau kennt. Deshalb können Sie es ihr bestimmt besonderes einfühlsam beibringen.«
8. Kapitel
Natürlich war es kein Zufall, dass der Mann, der zur Zeit bei Hellner wohnte, noch vor dem Eintreffen der ersten Polizeibeamten verschwunden war. Er hatte Gründe gehabt, vor ihnen abzutauchen und seine Identität zu verschleiern, das war Neundorf von Anfang an klar. Gegen 5.45 Uhr am frühen Morgen war das erste Team der Schutzpolizei am Fundort der Leiche erschienen, zu einem Zeitpunkt also,
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