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Schwaben-Filz

Schwaben-Filz

Titel: Schwaben-Filz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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so?«
    »Sie müssen mich für einzigartig dämlich halten.«
    »Ausgerechnet Gerd! Den umschwärmen die Frauen wie Motten das Licht. Aber er ist wirklich mein bester Freund. Er hat mir in brutal schweren Zeiten geholfen wie sonst niemand. Ich weiß, das klingt theatralisch. Ist aber so.«
    »Sie wurden als Kind von Ihrem Vater misshandelt?«
    Hellner legte das Tuch zur Seite, ließ sich auf einem der Stühle nieder. Er schien seine Aggressivität verloren zu haben. »Meine Mutter war das Opfer Nummer eins. Ich bekam nur einen Teil davon ab, aber das reichte vollauf. Mein Alter wurde zur Bestie, wenn er getrunken hatte. Und in seinen letzten Jahren soff er fast ununterbrochen.«
    »Sie haben Weissmann damals schon gekannt?«
    »In der Tat. Er bekam einiges ab, wenn er bei uns war.«
    »Ihre Mutter konnte Sie nicht vor den Schlägen schützen?«
    Hellner ließ ein bitteres Lachen hören. »Meine Mutter? Die war doch selbst das leibhaftige Opfer. Dass die den Alten überlebte …« Er verstummte, winkte ab. »Lassen wir das. Gerd hat uns auf jeden Fall sehr geholfen. Er ist um einiges kräftiger und mutiger als ich.«
    Hatte Weissmann dem Wüten des Alten mit ein paar gezielten Schlägen für immer ein Ende gesetzt? Neundorf musterte die Miene ihres Gegenübers, sah seinen versonnenen Gesichtsausdruck. Er schien in ferne, längst vergangene Zeiten entrückt. Und wenn der Freund auf diese Weise geholfen haben sollte, überlegte sie. Vielleicht war das die beste Lösung gewesen, wer konnte das familiäre Martyrium vieler Gewaltopfer schon als Außenstehender beurteilen? »Sind diese schlimmen Jahre der Grund Ihrer Verbitterung?«, fragte sie. »Ihre Aggressionen gegen Polizeibeamte … Weil meine Kollegen Ihnen damals nicht geholfen haben, Ihnen und Ihrer Mutter?«
    Hellner benötigte mehrere Sekunden, ihre Worte zu verstehen. Er starrte mit großen Augen zu ihr her, schüttelte dann energisch den Kopf. »Meine Verbitterung? Sie ist so deutlich zu bemerken, ja?«
    Neundorf nickte zustimmend.
    »Nein«, erwiderte er. »Die Schrecken meiner Kindheit habe ich überwunden. Zum Glück, da bin ich mir sicher. Mein Frust ist allein beruflicher Natur. Wenn Sie sich über mehrere Jahre hineinknien, in ihrer Arbeit versinken und alles dafür tun, ein großes Projekt zum Erfolg zu führen, nur um sich dann am Ende von einer Bande korrupter Politiker und Manager verarscht zu sehen, die nicht einmal im Ansatz das Gemeinwohl der Gesellschaft, sondern nur die materiellen Interessen ihrer eigenen Klientel im Sinn haben, dann kann es schon sein, dass man verbittert wird. Vor allem, wenn man dann auch noch mitansehen muss, wie unser Rechtssystem ausgehöhlt wird und die Polizei sich dazu benutzen lässt, die Machenschaften dieser Halunken zu verteidigen.«
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?« Er musterte sie mit zweifelnder Miene.
    »Bei allem Verständnis für Ihre negativen Erfahrungen mit einigen von meinen Kollegen, aber glauben Sie allen Ernstes, ich sei nur eine willfährige Marionette, die ihre Anweisungen befolgt, ohne den Verstand einzuschalten? Ich fürchte, Sie sollten sich selbst hinsichtlich gewisser Vorurteile hinterfragen. Meinen Sie, nur weil ich als Kriminalbeamtin arbeite, sei es mir nicht möglich, die Realitäten in diesem Land korrekt zu beurteilen?«
    Hellner atmete tief durch, kratzte sich an der Wange. »Ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten mit der Vorstellung habe, eine Polizeibeamtin könne sich eine kritische Sicht auf die Verhältnisse bei uns leisten.«
    »Dann sollten Sie Ihre Vorstellungen schnell revidieren. Ich denke, die Mehrheit meiner Kollegen hat längst begriffen, dass wir oft den Falschen hinterherjagen und gegen die eigentlichen Drahtzieher viel zu wenig tun. Aber Sie wollten mir erzählen, woher Ihr Frust rührt.«
    Sie sah deutlich, wie es in ihm arbeitete. Er betrachtete sie angespannt, benötigte mehrere Sekunden, ihre Worte zu verarbeiten.
    »Vor vier Jahren machte ich den Fehler meines Lebens. Ich gab meine Tätigkeit als Dozent an der ESB Business School hier in Reutlingen auf, falls Ihnen das etwas sagt.«
    »An der ESB? Allerdings sagt mir das etwas.« Die Kommissarin nickte zustimmend. »Wir hatten in den letzten Jahren mehrfach mit der Hochschule zu tun.«
    Hellner warf seiner Gesprächspartnerin einen überraschten Blick zu. »Sie waren auf Mörderjagd an der ESB?«
    »Im Rahmen verschiedener Ermittlungen«, berichtigte Neundorf. »Und, falls Sie das

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