Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Filz

Schwaben-Filz

Titel: Schwaben-Filz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
wie neu geboren.«
    Braig gab keine Antwort, bemerkte die starre Körperhaltung seiner Kollegin. Riedinger fiel es offensichtlich immer schwerer, das Geschwätz des Mannes zu ertragen.
    »Allein im Wald, mitten im Unterholz. Es ist dunkel, was sage ich, schwarz, absolut rabenschwarz. Sie können nicht einmal die Umrisse der Zweige unmittelbar vor ihrem Gesicht erkennen, so sehr sie sich auch bemühen. Aber die Welt um sie herum ist nicht tot – im Gegenteil. Überall Geräusche, am Boden, in den Bäumen, der Luft, vor, hinter und neben ihnen. Ein Knistern, Rascheln, Zirpen und Knacken – hunderttausend verschiedene Insekten, Würmer, Raupen, Schlangen und Vögel, aber all das zählt nicht, hat keinen Reiz, denn es geht ja nur darum, den Feind aufzuspüren, ihn ins Visier zu nehmen und zu erledigen, irgendwann nach stundenlangem Warten, mitten in der Nacht. Und wenn es dann endlich soweit ist … Völlige Dunkelheit, nur das Gewehr in der Hand, den Finger am Abzug und dann, für den Augenblick einer Sekunde den Feind im Nachtsichtgerät vor Augen – das sind die Momente, für die sich das Leben lohnt. In denen Sie all die unerfreulichen Stunden vergessen, den Ärger, den Frust, die Wut des Alltags. Wenn ich dann abdrücke und der Rehbock vor mir zusammenbricht, erlegt mit einem einzigen Schuss, das ist wie ein«, er verstummte, deutete eine kurze Verbeugung in die Richtung Riedingers an, wandte sich dann Braig zu, »wäre Ihre junge Kollegin nicht anwesend, würde ich unter uns Männern sagen, wie ein gewaltiger Orgasmus, ein nicht enden wollender Wahnsinn, verstehen Sie?« Er schien vollends aus seinem tranceähnlichen Zustand zu erwachen, verfiel wieder in sein joviales Lachen.
    Braig musste an sich halten, die Schilderungen Neubers zu ertragen, tröstete sich damit, dass es Riedinger offensichtlich nicht besser ging. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, verdrehte den Kopf in alle Richtungen, nippte an ihrer leeren Tasse, schwenkte sie vor sich durch die Luft.
    Und diesen Kotzbrocken sollen wir Tag und Nacht bewachen, mehreren Beamten abverlangen, auf ihr vertrautes Familienleben zu verzichten, überlegte er, nur damit Ruppich den nicht erwischt? Meine Herren, was ist das für eine Welt!
    Er nahm all seine Kraft zusammen, versuchte, sich auf ihr eigentliches Anliegen zu konzentrieren. »Sie behaupten also, während der Gewalttat an der jungen Frau nicht in der Hütte anwesend gewesen zu sein«, betonte er.
    Neuber ließ keinen Zweifel an seiner Version. »Wenn Sie in die Gerichtsakten schauen, sehen Sie die Aussagen von Grobe, Robel und Ruppich: Alle drei haben bestätigt, dass ich zur Zeit des Vorfalls in der Tat nicht anwesend war.«
    »Grobe und Robel haben vor Gericht auch behauptet, Ruppich allein habe der jungen Frau Gewalt angetan und sie hätten ihn dabei überrascht und überwältigt.«
    »Zweifeln Sie die Gerichtsakten etwa an?«, fragte Neuber. Er warf Braig einen stechenden Blick zu. Wagst du kleiner Bulle es wirklich, die während des Prozesses ermittelten Fakten infrage zu stellen?
    »Grobe und Robel wurden ermordet. Wir nehmen an, dass Ruppich der Täter ist«, gab Braig zu bedenken.
    »Dann verhaften Sie ihn doch endlich.« Der spöttische Unterton in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören.
    »Warum hat er das getan? Was hat Ruppich gegen Grobe, Robel und Sie?«
    »Gegen mich? Überhaupt nichts. Der hat mich nie bedroht. Sein Gelaber im Gefängnis richtete sich immer nur gegen Grobe und Robel. Was er gegen die hat oder hatte, weiß ich nicht. Aber mir droht keine Gefahr. Was immer in der Hütte an jenem Abend lief, ich war nicht dabei. Das sage ich Ihnen hier noch einmal genauso deutlich wie vor Gericht.«
    »Sie waren an der versuchten Vergewaltigung des Mädchens nicht beteiligt?«, fragte Riedinger.
    Für mehrere Sekunden herrschte absolute Stille. Nur das Dröhnen eines Automotors war irgendwo in der Ferne zu vernehmen.
    »Was wollen Sie damit andeuten?« Neuber richtete seinen Blick zur Seite, fixierte die Kommissarin mit starren Augen.
    »Andeuten? Überhaupt nichts«, mischte sich Braig wieder ins Gespräch. »Aber wir fragen uns, weshalb Ruppich Grobe und Robel ermordet, wenn er angeblich der einzige Täter war. Und wieso wir Sie unter Polizeischutz stellen müssen, wenn Sie mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben.«
    Ihr Gegenüber ging in die Luft wie ein unverhofft eruptierender Vulkan. Seine Gesichtszüge entgleisten, verkamen zur hasserfüllten Grimasse. Er

Weitere Kostenlose Bücher