Schwaben-Filz
kommen Sie darauf?«
»Wie komme ich darauf? Ja, wie? Das Bild im Internet natürlich. Ist sie das?«
»Wer?«
»Na, diese Tote da in … Was weiß ich, wo.«
»Sie haben sie erkannt?«
Der Mann gab keine Antwort.
»Herr Salier, haben Sie Meike Kleemann auf dem Bild erkannt?«
Neundorf hörte nur noch das Besetztzeichen. Er hatte die Verbindung einfach abgebrochen.
18. Kapitel
Karl Neuber war nach eigener Aussage vor nicht einmal zwei Stunden zu Hause eingetroffen, als Braig an der Tür läutete. Er hatte Neubers Ehefrau gebeten, ihn sofort über die Ankunft ihres Mannes zu informieren, war keine dreißig Minuten nach dem Anruf gemeinsam mit seiner Kollegin Stefanie Riedinger nach Oberweihingen aufgebrochen. Das Haus des Mannes thronte einem kleinen Palast ähnlich auf der Spitze einer Anhöhe über dem Neckar, bot schon von seinem Vorgarten aus einen prächtigen Ausblick über das dicht besiedelte Tal beidseits des Flusses wie den unweit dahinter in die Höhe ragenden Steilanstieg der Alb. Kräftig grüner, auf den Millimeter genau geschnittener Rasen rahmte es auf drei Seiten ein, von einer niedrigen Steinmauer begrenzt. Zwei dunkle Daimler-Limousinen der S- und E-Klasse waren vor der offenen Doppelgarage geparkt.
»Landeskriminalamt?«, wunderte sich Neuber über das Erscheinen der beiden Kommissare, »meine Frau hat mich über Ihren Anruf informiert, trotzdem … Aber kommen Sie doch erstmal ins Haus und nehmen Sie Platz, meine Damen und Herren. Dürfen wir Ihnen etwas aufwarten?« Er wies auf die Thermoskanne und die Wasserflaschen auf einem schmalen Tisch an der Seitenwand des großen Raumes, in den er sie geführt hatte. Bevor Riedinger ablehnen konnte, reichte er ihr schon eine der bereitstehenden Tassen samt Unterteller, schenkte ihr dann Kaffee ein. »Zucker, Milch?«, fragte er, wandte sich dann nach ihrem Kopfschütteln Braig zu, der ebenfalls zu einem Kaffee griff.
»Es macht uns keine Arbeit«, erklärte der Gastgeber in jovialem Ton, »meine Frau weiß genau, wie sehr ich auf das dunkle Gebräu angewiesen bin. Sie bereitet sofort eine ganze Kanne vor, sobald ich nach Hause gekommen bin.«
»Sie waren beruflich unterwegs?«, fragte Braig. Er wartete wie seine Kollegin, bis der Mann an dem großen Tisch in der Mitte des Zimmers Platz genommen hatte, setzte sich dann ebenfalls.
Neuber ging bereitwillig auf die Frage seines Besuchers ein. »Zwei Tage Brüssel, ja. Gespräche mit Referatsleitern und führenden Politikern«, erklärte er mit weit ausholender Geste.
»In Ihrer Funktion als Abgeordneter des Landtags.«
»Sie meinen, ein Austausch unter Kollegen?« Der Mann ließ ein joviales Lachen hören. »Nein, das weniger. Es ging um die Interessen unserer Firma. Lobby-Arbeit als Spediteur, sozusagen. Die Steuern müssen runter. Wir arbeiten Tag und Nacht und kommen trotzdem kaum noch auf einen grünen Zweig. Die Abgaben für unsere Lastwagen sind viel zu hoch. Wir können sie uns kaum noch leisten. Bald lassen wir keinen von ihnen mehr auf die Straße. Das lohnt sich wirklich nicht mehr.«
»Ah ja«, warf Riedinger ein, »deshalb sind die Autobahnen alle so leer.«
Braig musste an sich halten, nicht laut loszulachen, bemerkte Neubers verdutzten Gesichtsausdruck.
Der Mann sah sich mitten aus seinem melodramatischen Gejammer gerissen, hatte Schwierigkeiten, in die Banalität einer konventionellen Unterhaltung zurückzufinden. »Wie soll ich das verstehen?«, fragte er.
»Dass wir uns darüber im Klaren sind, welche verantwortungsvolle Arbeit Sie leisten«, erklärte Braig. »Ich hoffe, Sie hatten Erfolg.« Er warf Neuber einen freundlichen Blick zu, merkte, wie sich der Mann aus seiner Irritation löste.
»Nun ja, das hoffe ich auch«, bestätigte der Unternehmer. »So ganz ist man sich da ja nie sicher.« Er fand wieder zu seiner gewohnten Contenance zurück, nahm einen genießerischen Schluck von seinem Kaffee. »Dabei frage ich mich jeden Tag aufs Neue, warum wir nicht deutlicher zum Ausdruck bringen, wie es in dieser Gesellschaft ohne die Arbeit von uns Spediteuren aussähe: Nichts ginge mehr, buchstäblich gar nichts. Dass jederzeit alle Ihre Wünsche erfüllt werden, haben Sie uns zu verdanken, ganz allein uns. Ohne uns keine Versorgung mit Nahrung, Getränken, Haushaltsutensilien. Ach, was sage ich, keine Kultur, kein Fortschritt, nichts. Wir müssen viel lauter werden, das deutlich zu machen. Wir sind viel zu bescheiden.«
Braig schaute zur Seite, sah Riedingers genervten Blick.
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