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Schwaben-Filz

Schwaben-Filz

Titel: Schwaben-Filz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Theresa und meinen Eltern. So viele stimmungsvolle Straßen und Gassen an einem Ort gibt es nirgendwo sonst. Du willst die Sache persönlich übernehmen?«
    »Morgen ist Samstag und meine Mutter fährt sowieso nach Hamburg …«
    Ann-Katrin hatte seine Überlegung sofort verstanden. »Das ist das schönste Geschenk für sie. Du begleitest sie, okay?«
    »Dann bist du aber eine Nacht allein. Ich glaube nicht, dass ich noch am selben Tag zurückkomme. Je nachdem, wie der Zugriff auf diesen Ruppich gelingt …«
    »Ach, das ist kein Problem. Dr. Genkinger tröstet mich bestimmt sehr gerne.«
    Er hatte Ann-Katrin scherzhaft in den Arm gezwickt, später die Kollegen in Lübeck über den Sachverhalt informiert und den nächsten Nachmittag als gemeinsamen Treffpunkt vereinbart. »14.40 Uhr. Lübeck Hauptbahnhof.«
    Den größten Teil der Fahrt hatten sie, wie es seine Mutter liebte, im Speisewagen verbracht. Ein kräftiges Frühstück mit zwei Tassen Kaffee, Marmelade, Käse, einem gekochten Ei, Brötchen und Baguette, anschließend ein Orangensaft und ein Wasser in Ruhe genossen, und der Zug hatte Kassel-Wilhelmshöhe erreicht. Natürlich war die Fahrt nicht glatt verlaufen, zuerst eine Langsamfahrstelle südlich von Hannover, dann die Umleitung auf die Strecke Richtung Bremen bis Verden an der Aller und dort ein außerplanmäßiger Halt, weil die folgenden 20 Kilometer bis Rotenburg an der Wümme nur eingleisig ausgebaut waren und zwei entgegenkommende Güterzüge immense Verspätung aufwiesen.
    »Die haben kein Geld für ein zweites Gleis, weil sie in Stuttgart zehn Milliarden für ihre unsinnigen Tunnel verbuddeln«, hatte seine Mutter kommentiert.
    Braig hatte sich der unzähligen Bahnfahrten seiner Jugend und der darauf folgenden Jahre erinnert. Wann immer er Zeit gefunden hatte, war er quer durch ganz Europa unterwegs gewesen, neue Länder, neue Städte kennen zu lernen. Vom Norden Finnlands bis nach Sizilien, vom äußersten Westen Irlands bis in die Türkei. Natürlich hatte es ab und an Verspätungen gegeben, Zugausfälle, überhitzte oder ungeheizte Wagen. All das aber in einem vertretbaren Ausmaß, in so seltener Anzahl, dass derlei unvorhergesehene Vorfälle die Ausnahme gewesen waren.
    Alle reden vom Wetter. Wir nicht
. Er erinnerte sich an die großen Plakate, auf denen die Bahn für sich geworben hatte. Glaubwürdig, für alle nachvollziehbar. Ob im Sommer in der größten Hitze oder im Winter bei Tiefschnee, die Züge waren immer – noch dazu pünktlich – an ihr Ziel gelangt. Hatte es tatsächlich eine Störung gegeben, war einer liegen geblieben, hatte man sofort einen Ersatzzug bereit, gleich, in welchem Winkel des Landes. Heute dagegen - Braig wagte nicht daran zu denken. Im Sommer wurden die Herren Manager von hohen Temperaturen überrascht, Klimaanlagen fielen aus, verwandelten Züge in siedende Treibhäuser. Im Herbst wunderte sich das Bahn-Management über seltsame Vorgänge wie fallendes Laub, im Winter über absurde Begebenheiten wie ab und an den Wolken entfleuchende Schneeflocken …
    Eine Stunde später als erwartet hatte er sich seinem Lübecker Kollegen vorgestellt.
    Klaus Grewe hatte ihn am Treppenaufgang des Bahnsteigs erwartet, die Dienstmütze in der Hand. »Keine Angst, die führe ich sonst nicht mit mir. Das war nur zum besseren Erkennen.«
    Sie waren zum Hotel unmittelbar neben dem Bahnhof gegangen, hatten Braigs kleinen Rollkoffer in seinem Zimmer deponiert. Der Kollege schien im gleichen Alter wie er selbst, war groß und breitschultrig, mit einer dunklen Jacke und ausgewaschenen Jeans bekleidet.
    »Ihre Mutter wurde in Hamburg abgeholt?«, hatte er ihn gefragt.
    »Von einer Freundin direkt am Bahnsteig, ja. Wir haben ihr die Verspätung telefonisch durchgegeben.«
    Das Wiedersehen mit Elisabeth Ungemach war kurz ausgefallen, die Begrüßung umso herzlicher. Er hatte seiner früheren Nachbarin versprochen, am nächsten Tag auf dem Rückweg bei ihr vorbeizuschauen.
    »Gut, dann steht unserem Besuch bei Herrn Stein nichts mehr im Weg. Es sei denn, Sie wollen sich vorher noch etwas ausruhen?«
    Braig wehrte den Vorschlag ab. »Auf keinen Fall. Mir wäre es lieber, wenn wir sofort …«
    »Ist gut, ja«, stimmte Grewe ihm zu. »Unseren Beruf können wir nicht verleugnen, was?«
    »Wie weit ist es zu dem Mann?«
    »Zu Fuß keine zehn Minuten. Er wohnt mitten im Zentrum. Wenn Sie einverstanden sind?«
    »Gerne.« Braig nickte, folgte dem Kollegen aus dem Hotel.
    »Wir lassen Stein seit

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