Schwaben-Hass
Hinweise stießen, die damals nicht gefunden worden waren. Seitdem nannten sie alle Kirchen ihre Safes. Nichts ist so sicher wie der Ort des Herrn, spottete sie manchmal.«
»Sind Kirchen normalerweise nicht verschlossen?«
»Nicht alle. Die großen, bekannten Gebäude stehen fast jeden Tag offen. Die kleineren nicht, zumindest die Evangelischen. Aber Verena erzählte immer, wie begeistert die Pfarrer oder die Mesner waren, wenn junge Leute auftauchten und darum baten, einige Minuten meditieren zu dürfen. Die öffneten ihre Gotteshäuser sofort, da gab es selten Probleme.«
»Dann glauben Sie, Frau Litsche hat die Diskette irgendwo in einer Kirche deponiert?«
Michaela König war sich ihrer Sache sicher . »Die liegt seit heute Morgen in einem Safe. Du erinnerst noch das Schatzsucherspiel? Absolut sicher verwahrt. Genauso hat sie es mir erzählt.«
»Aber wo, in welcher Kirche? Wissen Sie überhaupt, wie viele Kirchen es allein hier im Großraum Stuttgart gibt?«
»Wir sollten uns nicht verrückt machen. Denken Sie an diese Schatzsucherspiele. Wenn ich Verena recht verstand, mussten sie damals Hinweise aus mindestens zwei verschiedenen Kirchen finden, um den Ort zu ermitteln, wo das Fest stattfand. Alles an einem einzigen Mittag. Ich meine, dass wir das ebenfalls packen. Fragt sich nur, wo wir anfangen. Das sollten wir jetzt gemeinsam überlegen.«
36. Kapitel
Als Steffen Braig am Montagmorgen kurz vor halb Acht in sein Büro kam, ratterte gerade ein Fax aus dem Apparat. Er nahm das Papier an sich, überflog den Text. Die Kollegen der Tübinger Kriminalpolizei berichteten, dass heute Morgen in aller Frühe das vermisste Taxi gefunden worden war: außerhalb von Pfrondorf, einem Vorort der Universitätsstadt in einer abgelegenen Heuhütte; wie sich soeben herausgestellt hatte, mit der Leiche des gesuchten kurdischen Fahrers im verschlossenen Kofferraum.
Braig seufzte laut, überlegte, ob es ein besonders schlimmes Omen war, wenn die Woche mit einem neuen Toten begann, hörte das Klopfen an der Tür. Einer der Amtsboten, ein älterer Kollege, grüßte, streckte ihm die aktuelle Ausgabe der tageszeitung entgegen.
»Von der Pressestelle.«
Braig bedankte sich, nahm das Blatt, sah die Schlagzeile auf der Titelseite. »Von Mördern verfolgt.« Er betrachtete das Phantombild eines bärtigen Mannes, der laut Unterzeile einer der Kumpane des getöteten Albaners Hasim Foca sein sollte, las aufmerksam den Bericht, der die mehrtätige Flucht Frau Königs sowie das angebliche Geschehen um den Mord an Frau Litsche und einem Taxifahrer wiedergeben sollte. Die Behauptung der Polizei, Michaela König habe ihre Freundin Verena Litsche getötet, wurde als vollkommen absurd und als von den wahren Mördern lanciert dargestellt.
Braig wollte schon zum Telefonhörer greifen, um die Chefredakteurin in Berlin nach den Quellen dieser Darstellung zu fragen, als Bernhard Söhnle mit einem großen Blumenstrauß in der Hand an die geöffnete Tür klopfte und ins Büro trat. Überrascht musterte er den Kollegen.
»Du hast es natürlich vergessen«, maulte Söhnle, als er die großen Augen Braigs bemerkte.
»Hat jemand Geburtstag?«
»Deine Kollegin ist wieder da.«
Braig sprang von seinem Stuhl auf, fuhr sich mit der Rechten durch die Haare, ärgerte sich über seine Vergesslichkeit. »Zum Glück hast du daran gedacht.« Er griff nach seinem Geldbeutel, zog einen Schein vor. »Wie viel? Machen wir halbe-halbe?«
Söhnle nickte, nahm das Geld, steckte es ein.
Katrin Neundorf saß schon an ihrem Schreibtisch, Felsentretters neuen Aktenberg vor sich. Sie umarmte beide Kollegen, nahm den Blumenstrauß, bedankte sich. »Ich freue mich, euch wiederzusehen.«
»Ganz meinerseits. Wie geht es dem Kleinen?«
»Bestens«, sagte sie, »danke. Meine Mutter ist bei ihm.«
Braig hatte sie mit Söhnle zwei Tage nach der Geburt ihres Sohnes Johannes im Waiblinger Kreiskrankenhaus besucht. Der Junge war am 18. Januar zur Welt gekommen, hatte überraschend stämmig ausgesehen, mit seinem großen Körper und dem dunklen Wuschelkopf wenig Ähnlichkeit mit der Mutter gezeigt.
»Und die neue Wohnung?«
Wenige Wochen vor der Geburt war Neundorf vom Stuttgarter Stadtteil Zazenhausen nach Waiblingen umgezogen, ganz in die Nähe des Bahnhofs, um mit einem zusätzlichen Zimmer Platz für den Neuankömmling und ihre Mutter zu schaffen, die sich bei starker beruflicher Beanspruchung Neundorfs um das Kind kümmern wollte. »Fünf Minuten zur S-Bahn,
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