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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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gereicht haben mussten. Sein Gesicht war im Zustand des Todes grotesk verzerrt; es spiegelte, wie sie vermutete, die Schmerzen infolge des unmittelbar vor seinem Lebensende erlittenen Attentats. Neben den aufgerissenen Augen war es von den von der Säure völlig zerfressenen Hautpartien ums Kinn und von markanten Wangenknochen geprägt, die dem Kopf eine auffallend schmale Form gaben. Ob das auch zu Lebzeiten so deutlich zu Tage getreten oder nur dem derzeitigen Zustand des Körpers zuzuschreiben war, wusste sie nicht – das würde sich erfahrungsgemäß erst beim Betrachten von Fotos des Verstorbenen ermitteln lassen. Nicht weniger schwierig war es, ihn vom Alter her einzuschätzen: Irgendwo zwischen Zwanzig und Vierzig war die einzige Prognose, die sie zu stellen wagte. Bekleidet war der Mann mit einem bunt gemusterten, mit unzähligen verätzten Stellen verdorbenen Hemd, einer weißen, nicht weniger beschädigten Weste und den verwaschenen, um die Hüfte herum vollständig von der Säure zerfressenen Jeans. An den Füßen trug er hinten offene Filzpantoffeln – die gesamte legere Aufmachung war ein Zeichen dafür, dass er es sich zu Hause bequem gemacht hatte, als er von seinem Mörder überrascht worden war.
    Sie löste ihren Blick von den Füßen, konzentrierte sich auf seine Wunden. Zwei Schüsse aus einer Entfernung von weniger als einem Meter, wie die Ärztin erklärt hatte, beide in die Brust, gerade einmal drei Zentimeter übereinander platziert. Sie betrachtete die Einschusslöcher in seinem Hemd samt der sie umgebenden längst getrockneten Blutkrusten, wandte sich dann der Hose des Mannes zu, die am oberen Ende nur noch in Fetzen erhalten war und stattdessen den Blick auf die zerfressene Haut seines Schambereichs freigab. Im selben Moment wurde ihr klar, was sie so irritierte. »Weshalb?«, fragte sie laut.
    »Die starke Verätzung am Unterleib?« Die Ärztin folgte ihrem Blick, sah ihre Vermutung durch ein Kopfnicken bestätigt. »Vielleicht hat der Täter schlecht gezielt.«
    »Er hatte vor, ihm die Säure ins Gesicht zu schütten, traf aber nur sein Kinn und seine Unterleib?«
    »Es kann natürlich sein, dass er zu aufgeregt war«, spekulierte Dr. Schlögel.
    Neundorf nickte. »Wäre ja kein Wunder bei dem Irrsinn, den er gerade anrichtete.«
    »Das ist nachvollziehbar, ja«, bestätigte die Ärztin, »wenn er in dem Moment nicht aufgeregt war, haben wir es mit einer Mordmaschine zu tun.«
    Eine Windböe fegte in den Garten, katapultierte ihr ein Blatt ins Gesicht. Sie wischte es zur Seite, betrachtete die in Falten gelegte Miene ihrer Gesprächspartnerin. »Sie glauben aber trotzdem nicht, dass es allein auf seine Aufregung zurückzuführen ist. Er zielte absichtlich so tief, ist es das?«
    »Haben Sie gesehen, wie stark seine Hose zerfressen ist? Die hat sich fast vollständig aufgelöst, sein Slip ebenso. Ein großer Teil der Säure landete an dieser Stelle, am Kinn war es viel weniger. Nur weil der Täter so aufgeregt war oder schlecht zielte? Ist das eine Erklärung?«
    »Der zielte überhaupt nicht schlecht«, widersprach Schöffler vom Boden her, »jedenfalls nicht mit der Pistole. Es gibt keine weiteren Schussspuren, weder an den Wänden noch im Außenbereich. Wir haben alles abgesucht. Der hat zweimal abgedrückt und zweimal getroffen. Und zwar genau dort, wo es das schlimmste Unheil anrichtete.«
    »Demzufolge wäre auch die verätzte Hose Absicht«, meinte Dr. Schlögel, »oder vielmehr der entsprechende Körperteil.«
    Neundorf wusste nicht, was sie antworten, wie sie auf den Einwurf der Ärztin reagieren sollte.
    »Ich fürchte, es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren«, erwiderte sie deshalb, »ich sollte erst einmal meine Hausaufgaben erledigen, bevor ich mich in derlei Überlegungen ergehe. Dafür hat es später noch Zeit.«
    Dr. Schlögel nickte, griff nach ihrer Tasche, reichte der Kommissarin die Hand. »Dann will ich nicht länger stören«, sagte sie, »wenn Sie einverstanden sind, lasse ich ihn abholen.« Sie deutete auf die Leiche. »Ihr Kollege hat vorhin schon ausgiebig fotografiert.«
    »Ihr seid fertig?«, vergewisserte sich Neundorf, sah die zustimmende Kopfbewegung der Spurensicherer. »Okay. Dann gibt es keinen Grund, die Sache aufzuschieben.« Sie sah der Ärztin nach, wie sie zur Pforte ging und dann im Getümmel der Neugierigen untertauchte.
    Augenblicklich wurden die Rufe lauter.
    »Wie viele Dote sind’s?«
    »Hent se die wirklich erschosse?«
    »Zwoi

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