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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Straßenrand vor einem blauen japanischen Kleinwagen postiert hatte und das Auto mit wachsamen Augen vor allen Zudringlichen abschirmte. Sie wies sich aus, blickte ins Innere des Fahrzeugs, sah eine junge Frau auf der Rückbank sitzen.
    »Sie hat den Toten gefunden«, erklärte der Beamte. »Die Ärztin hat ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht.«
    »Ich würde gerne mit ihr sprechen, falls sie sich dazu imstande sieht.«
    »Versuchen Sie es. Sie hat sich vorhin erst bewegt. Ihre Augen sind offen.«
    Neundorf nickte, beugte sich zum Fenster der Rückbank nieder, klopfte vorsichtig dagegen. Die junge Frau reagierte nicht. Die Kommissarin verstärkte ihr Klopfen, zog die Türe vorsichtig auf, ging vollends in die Hocke. »Mein Name ist Neundorf. Katrin Neundorf. Dürfte ich mich kurz mit Ihnen unterhalten?«
    Es dauerte mehrere Sekunden, bis die Frau reagierte. Sie drehte langsam, wie in Zeitlupe den Kopf, schaute die Fremde aus himmelblauen Augen an. Ihr Atem ging stoßweise, die rechte Hand zitterte. Sie war jung, höchstens Anfang Zwanzig, hatte dünne blonde Haare, ein bleiches Gesicht.
    »Ich bin Polizeibeamtin«, fuhr Neundorf fort. »Dürfte ich bitte Ihren Namen wissen?«
    Das zarte, bleiche Wesen nickte zaghaft mit dem Kopf. »Julia Gerber«, antwortete sie, »ich bin seine Freundin.« Ihre Augen schwenkten kurz, für den Moment einer Sekunde etwa, in die Richtung des Anwesens, in dessen Eingangsbereich der Tote lag.
    »Frau Gerber, darf ich mich für einen Moment zu Ihnen setzen?«
    Die junge Frau rückte ohne jeden Kommentar zur Seite. Neundorf benötigte trotz ihres schlanken, durchtrainierten Körpers mehrere Anläufe, sich auf den schmalen Platz zu zwängen, hatte Schwierigkeiten, ihre Beine unterzubringen. Die hintere Sitzbank war offensichtlich für Kleinstkinder gedacht, schon Zehn- oder Zwölfjährigen war dies nicht mehr zuzumuten. Sie versuchte, irgendwie Platz zu finden, wandte sich Julia Gerber zu. »Sie wohnen in der Nähe?«
    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »In der Herderstraße nicht weit vom Volkspark.«
    »Hier in Reutlingen?«
    Die junge Frau nickte.
    »Und Sie haben Stefan Sattler heute Morgen gefunden.«
    Das heftige Flackern ihrer Augen zeigte deutlich, dass etwas nicht stimmte. »Doch nicht … doch nicht … seinen Vater«, brach es aus ihr heraus, dann ein einziger lauter Schrei: »Andreas!« Sie begann augenblicklich am ganzen Körper zu zittern, schnappte heftig nach Luft.
    Neundorf begriff ihren Fehler sofort. Nicht Stefan Sattler, sondern sein Sohn Andreas war Opfer eines Verbrechens geworden. Die fehlenden Einträge im Tagesplaner des Arbeitszimmers … Kein Wunder. Der Mann, dessen Unterlagen sie vor wenigen Minuten durchgeblättert hatte, um die Identität des Toten zu ermitteln, befand sich zur Zeit außer Haus, wahrscheinlich im Urlaub. Und Andreas, sein Sohn, war im Eingangsbereich des elterlichen Anwesens ermordet worden. Hatte er hier gewohnt oder war er nur übers Wochenende zurückgekommen?
    Sie streckte ihren Arm aus, legte ihn der jungen Frau auf die Schulter. »Es tut mir sehr leid«, versuchte sie diese zu trösten, »dass ausgerechnet Sie ihn gefunden haben. Wir sollten jemand suchen, der sich um Sie kümmert. Ihre Eltern, leben sie in der Nähe?«
    Julia Gerber schluchzte laut auf, starrte mit tränenverschleierten Augen auf den Boden.
    Neundorf ließ ihr Zeit, verzichtete darauf, sie mit allzu forschen Fragen zu bedrängen. Den Anblick, dem die junge Frau heute Morgen ausgesetzt gewesen war – ohne jede Vorwarnung, wie die Kommissarin vermutete – würde sie so schnell nicht vergessen können. Nicht in Wochen, nicht in Monaten, wohl ihr gesamtes Leben nicht. Sie hatte ihren Freund besuchen wollen, war plötzlich mit seinen wenige Stunden zuvor brutal aus dem Leben katapultierten sterblichen Überresten konfrontiert worden.
    »Unser Wochenende. Wir wollten uns doch ein schönes Wochenende machen.«
    Neundorf schaute überrascht auf, sah die fragenden Augen Julia Gerbers auf sich gerichtet.
    »Was ist mit Andreas? Was wird jetzt mit uns?«
    Sie wusste nicht, was sie antworten, wie sie den Sorgen der jungen Frau begegnen sollte. »Ihre Eltern«, wiederholte sie stattdessen, »wohnen sie in der Nähe?«
    Es dauerte mehrere Sekunden, bis ihr Gegenüber begriff. »Herderstraße. Hier in Reutlingen. Wir wohnen im selben Haus.« Julia Gerber verstummte für einen Moment, fuhr dann abrupt fort. »Meine Mutter. Was soll ich ihr erzählen? Sie wird

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