Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
Eine Handvoll verschrobener, weltabgewandter Gestalten aus allen Altersstufen, mit einem einzigen Thema: Schachfiguren auf dem Bildschirm hin und her schieben, bis der Schädel raucht. Aber wir können noch so sehr die Nase rümpfen, er fand dort, was ihm sonst verwehrt blieb: Erfolg. Sein erstes Turnier, oder wie ich diesen abstrusen Vorgang beschreiben soll, verließ er als gefeierter Sieger. Zwar nur im Kreis dieser obskuren Leute und auf den Seiten irgendeines kleinen Blättchens, aber eben mittendrin. Alles, was er bisher vermisste, wurde ihm jetzt auf einmal zuteil: Erfolg.« Die Frau verstummte für einen Moment, warf ihrer Gesprächspartnerin einen fragenden Blick zu. »Was haben wir falsch gemacht in unserer Erziehung?«
    Zu sehr alles auf den beruflichen Erfolg konzentriert, lag es Neundorf auf der Zunge. Die Karriere des Vaters, der weitläufige wertvolle Besitz – der Sohn dieser Familie stand unter gewaltigem Erwartungsdruck. Das zu begreifen bedurfte es keines Psychologiestudiums. Sie behielt die Vermutung aber zurück, wollte die Frau nicht ungnädig stimmen. Es schien, als habe sie genug mit ihren familiären Problemen zu kämpfen. »Wir haben nicht alles in der Hand«, antwortete sie stattdessen, sah die Andeutung eines Kopfschütteins bei ihrer Gastgeberin.
    »Sie wollen mich trösten, danke«, sagte Ursula Feiner, »aber so einfach dürfen wir es uns nicht machen.« Sie starrte in die Ferne, fing unvermittelt wieder an zu sprechen. »Sein neuer Spaß« ,sie betonte das Wort, sah Neundorf dabei in die Augen, »wurde regelrecht zur Manie. Wissen Sie, wie lange wir auf ihn eingeredet haben, ein neues Studium aufzunehmen?«
    Die Kommissarin verzichtete darauf, zu spekulieren, wartete auf die Erklärung.
    »Vergeblich. Er war nicht mehr dazu bereit, reiste nur noch von Turnier zu Turnier. Das ist meine Welt, erklärte er nur. Dumm, dass man von dieser Welt nicht leben kann. Wir haben seine Dummheit lange toleriert. Ich weiß nicht, wie viel meine Tochter und ich ihm hinter dem Rücken meines Mannes zugeschoben haben.«
    »Aber irgendwann war es Ihnen genug.«
    »Wir zogen die Notbremse, ja. Das war der Bruch. Seither sind wir voneinander getrennt.«
    »Das heißt, er muss sich jetzt selbst ernähren.«
    »Wie die meisten Menschen, ja. Er bearbeitet Computer-Software, da war er schon immer gut.«
    »Was ist mit Ihrer Tochter? Weiß sie vielleicht, wo er sich aufhält?«
    Ursula Feiner lächelte. »Garantiert nicht. Sie können sie aber gerne persönlich fragen, wenn Sie mir nicht glauben. Trotzdem wäre es mir lieber, Sie verzichten darauf. Sie sitzt oben und lernt.« Die Frau deutete in die Höhe. »Nächste Woche hat sie ihr Examen. Sie macht ihren Doktor in Jura.«
    Neundorf fühlte sich in ihrer heimlichen Vermutung bestärkt. Was blieb dem Spross dieser erfolgssüchtigen Familie nach seinem zweimaligen Blackout anderes, als sich in eine andere Welt zu flüchten?
    Sie wollte eine weitere Frage stellen, wurde vom sanften Vibrieren ihres Handy unterbrochen. Sie entschuldigte sich, zog das Gerät vor, sah, dass es sich um eine Nachricht ihres Lebensgefährten handelte. Mama hat Schwächeanfall!!! Sie kannte Thomas Weiss gut genug, um zu verstehen, dass mit ihrer Mutter etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste, wenn er sie aus seinem Seminar heraus während ihrer Dienstzeit informierte. Sie steckte das Handy zurück, überlegte sich eine letzte Frage. »Sie erwähnten die Clique, die Ihren Sohn auf seine neue Idee brachte. Dieser Herr Sattler … kennen Sie ihn näher?«
    »Andreas?« Die Frau rümpfte ihre Nase. »Mir war er von Anfang an nicht sympathisch. Typ verwöhntes Muttersöhnchen. Verzeihen Sie mein hartes Urteil, Lukas hat wohl auch etwas davon. Trotzdem: Nein, ich legte keinen Wert auf nähere Bekanntschaft.«
    Neundorf dachte darüber nach, ob es allein die Tatsache war, dass Sattler Lukas Feiner zu der Schach-Manie verführt hatte, die Ursula Feiner zu ihrem harten Urteil veranlasste. »Sie können mir also nichts über ihn erzählen?«, fragte sie.
    »Was soll ich Ihnen erzählen? Es ist mehr als ein Jahr her, dass ich von dem Mann gehört habe. Damit dürfte ich nicht mehr auf dem neuesten Stand sein, oder?« Sie erhielt keine Antwort, sah sich veranlasst, einen weiteren Satz hinzuzufügen. »Er klebt genau wie Lukas Tag und Nacht an irgendwelchen Schachfiguren. Was wollen Sie sonst noch wissen?«
    Ganz so schlimm konnte es wohl nicht gewesen sein, überlegte die Kommissarin,

Weitere Kostenlose Bücher