Schwaben-Herbst
Ungetüms, dessen Plätschern alle anderen Geräusche übertönte.
Ursula Feiner persönlich erwartete sie an der Tür. Sie hatte lange, zu einer Dutt hochgesteckte blonde Haare, ein schmales, dezent geschminktes gebräuntes Gesicht, war mit einem weiten, beigefarbenen Sweat-Shirt und einer dunkelgrünen Hose bekleidet.
Eine aparte Schönheit jenseits der Fünfzig, attestierte Neundorf voller Bewunderung, eine Frau mit aristokratischen Zügen, fern jeder neureich-peinlichen Aufmachung. »Wir haben miteinander telefoniert«, stellte sie sich vor, »mein Name ist Neundorf, ich komme vom Landeskriminalamt.«
Ursula Feiners tiefblaue Augen konnten ihr Erstaunen nicht verbergen. »Meine Neugier ist nach wie vor groß, was Sie von uns wollen«, antwortete sie, »Sie haben nur erwähnt, es gehe um Lukas, unseren Sohn.« Sie bat die Besucherin ins Haus, führte sie in einen großen, mit drei schmalen, schwarzen Zweisitzersofas ausgestatteten Raum. Ein riesiges Aquarium erstreckte sich längs der Wand, Fische in den verschiedensten Farben schwammen darin umher. »Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen.«
Neundorf ließ ihrer Gastgeberin den Vortritt, setzte sich dann ihr gegenüber auf einen der Zweisitzer. »Wir suchen Ihren Sohn«, eröffnete sie das Gespräch, »ich muss mit ihm reden. Es ist dringend.«
»Darf ich fragen, weshalb Sie sich nicht an ihn direkt wenden? Lukas ist längst volljährig.«
»Das habe ich versucht. Er ist nicht zu erreichen.«
»Sie waren in Nürtingen?«
Neundorf nickte. »Ich komme von dort. Sein Nachbar behauptet, er sei im Ausland. Genauere Angaben konnte er allerdings nicht machen. Deshalb bin ich hier.«
Ursula Feiner holte tief Luft. »Ja, so habe ich mir das in etwa vorgestellt.« Sie strich sich graziös über ihre Haare. »Aber ich will Ihnen sofort ehrlich gegenübertreten: Wir haben im Moment keine Verbindung mit Lukas. Er hat jeden Kontakt mit uns und seiner Schwester abgebrochen.«
»So etwas Ähnliches habe ich schon befürchtet.«
»Nachdem Sie seinen derzeitigen Wohnort gesehen haben.«
»Der Kontrast ist deutlich.«
»Ja, … so lässt sich das vornehm umschreiben.«
»Das heißt also, Sie wissen wirklich nicht, wo er sich zur Zeit aufhält.« Sie musterte Ursula Feiners Gesichtszüge, beobachtete ihre Reaktion.
»Das weiß ich seit über einem Jahr nicht mehr. Und ich kann auch nicht sagen, wie lange das noch so bleiben wird.«
»Wer kann mir dann weiterhelfen? Ich muss ihn dringend sprechen.«
»Ich weiß es nicht«, erklärte Ursula Feiner, »so leid es mir tut.« Sie schaute ihr offen in die Augen, wandte den Blick nicht ab. Nicht eine Sekunde.
»Sie wollen ihn nicht schützen? Die Mutter ihr Kind?«
»Mein Kind ist inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt«, entgegnete die Frau. »Außerdem: Könnte ich es denn? Trauen Sie mir nicht zu, dass ich so intelligent bin, zu begreifen, dass die Staatsmacht am längeren Hebel sitzt?«
»Doch«, murmelte Neundorf, »diese Intelligenz traue ich Ihnen zu.« Sie hatte keine Zweifel, was die Aufrichtigkeit der Frau betraf. Es schien sich wirklich um ein familiäres Zerwürfnis zu handeln, in dessen Folge der Kontakt zwischen den Eltern, der Schwester und dem Sohn unterbrochen worden war.
»Darf ich wissen, weshalb Sie mit Lukas sprechen wollen?«, unterbrach Ursula Feiner ihren Gedankengang. »Hat er ein besonders wertvolles Sortiment von Schachfiguren gestohlen?«
Neundorf ließ die Frau zappeln. »Sie wissen um sein Hobby?«
Ihre Gastgeberin lachte laut auf. »Darum geht es doch. Das ist kein Hobby, das ist ein Wahn.«
»Er spielt schon länger Schach?«
Ursula Feiner schüttelte den Kopf. »Seit drei Jahren. Normalerweise sollte man denken, mit Anfang Zwanzig sei der Lebensabschnitt, den wir als Pubertät bezeichnen, vorbei. Das glaubten wir jedenfalls bisher. Unser Sohn hat uns allerdings eines anderen belehrt. Bei ihm hat sie mit Zweiundzwanzig begonnen. Seither ist er diesem Zwang verfallen.«
»Gab es einen konkreten Auslöser?«
»Lukas fiel zum zweiten Mal durch sein Jura-Vordiplom in Heidelberg. Damit hatte es sich dann. Der Sohn eines überaus erfolgreichen Anwalts gescheitert. Zur gleichen Zeit ging auch noch die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin in die Brüche. Sie können sich vorstellen, wie es damals in ihm aussah. Wir konnten ihn nicht auffangen, so sehr wir uns bemühten. Susanne, unsere Tochter, eine Zeitlang, ja. Aber dann lernte er durch einen Zufall die Clique um diesen Sattler kennen.
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