Schwaben-Herbst
gewalttätig. Je nach Laune. Hat er auch Sie geschlagen?«
»Darüber will ich nicht sprechen.«
»Er hat also auch Sie geschlagen, seine eigene Freundin«, hatte Neundorf erklärt. »Wie oft mussten Sie lange Kleidung tragen und eine Sonnenbrille aufsetzen, um es zu verbergen?« Sie kannte Typen dieser Art und die von ihnen abhängigen Frauen zur Genüge, wusste nur allzu gut, wie das Ganze ablief. »Zwei, drei Mal in der Woche?«, hatte sie hinzugefügt, als keine Antwort gekommen war.
»Nein, was denken Sie denn, doch nicht so oft.« Julia Gerbers Stimme war nur noch ein Hauch ihrer selbst gewesen.
»Gut, also meist nur am Wochenende, wenn er trank. Holdenried säuft, richtig?«
»Nur wenn ich nicht bei ihm war.«
»Und er hat Sie bedroht, als Sie sich von ihm trennen wollten.«
In der Leitung hatte es mehrfach gerauscht und geknackt, bis endlich eine Antwort erfolgt war. »Nur, wenn er getrunken hatte.«
»Womit hat er Sie bedroht? Dass er Sie umbringt, tot schlägt, mit seinen eigenen Händen erwürgt?«
»Nur, wenn er viel getrunken hatte.«
»Und dass er sich Andreas Sattler vorknöpft und ihn abschlachtet wie ein Schwein, höchst persönlich. Korrekt?«
»Mit Andreas war ich erst später zusammen.«
»Aber Holdenried sah in ihm den Schuldigen für die Trennung.«
»Ja.«
»Hat er Sattler aufgelauert?«
Julia Gerber hatte keine Antwort gegeben.
»Oder Ihnen beiden, als Sie zusammen unterwegs waren. Richtig, ja?« Sie kannte das Verhalten dieser Hirnlosen, auf ihre vermeintliche Ehre und ihren Unterleib reduzierten Testosteron-Krüppel zur Genüge. Fünfundzwanzig Jahre Polizeialltag hatten ihr die gründlichste Charakteranalyse dessen, was sich als männlich gerierte, geliefert. Gründlicher ging es nicht mehr.
»Als wir abends ins Kino wollten, ja.«
»Wie schwer wurde Andreas Sattler verletzt?«
»Er zerriss ihm seine Jacke.«
»Sonst nichts?«
»Andreas hatte Glück. Er konnte abhauen.«
»Dafür hat Holdenried dann Sie verprügelt.«
Julia Gerbers Protest war zu schwach ausgefallen, um Neundorf ernsthaft beeindrucken zu können. Die junge Frau war mit interessanten Partnern gesegnet, hatte sie überlegt. Der eine hatte sie mehr oder weniger regelmäßig geschlagen, der andere seine Freundin an seiner Stelle verprügeln lassen. Was um alles in der Welt waren Frauen noch bereit, sich von Männern antun zu lassen, hatte sie sich zum vielleicht zehntausendsten Mal gefragt. Weshalb nur ließen sich so viele weibliche Wesen zum Spielball ausgearteter männlicher Gewalt abrichten?
Sie war in Gefahr gewesen, mit ihren Gedanken abzudriften, hatte sich dann aber doch auf die Überlegung konzentriert, die sich im Verlauf des Gesprächs immer deutlicher auskristallisiert hatte: War Falk Holdenried der Mörder des Mannes, der ihm – zumindest seiner kranken Auffassung nach – seine Partnerin ausgespannt hatte?
Es gab nur eine Möglichkeit, eine korrekte Antwort zu finden: Sie musste sich den Mann persönlich vornehmen, ihn auf Herz und Nieren überprüfen. »Wo finde ich Holdenried?«, hatte sie deshalb gefragt.
Die junge Frau hatte ihr die Adresse und die Telefonnummer ihres ehemaligen Freundes gegeben, sie zudem über seine familiären und beruflichen Verhältnisse aufgeklärt, soweit sie ihr bekannt waren. Holdenried lebte ihrer Aussage nach in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Neckarsulm und betrieb zusammen mit einem Freund eine Werkstatt für Kraftfahrzeug-Reparaturen in Heilbronn.
»In Neckarsulm?«, hatte Neundorf überrascht gefragt, »das liegt aber nicht gerade in nächster Nähe von Reutlingen.«
»Sie haben nebenbei noch einen kleinen Kurierdienst. Dadurch kam er öfter hierher. Er hatte einen Unfall mit seinem Lieferwagen und musste sich bei uns in der Klinik behandeln lassen. So lernten wir uns kennen.«
»Wie lange waren Sie zusammen?«
»Zwei Jahre. Nicht ganz.«
»Wann haben Sie sich getrennt?«
»Vor acht Monaten.«
»Und seither waren Sie mit Andreas Sattler befreundet.«
Julia Gerber hatte mit ihrer Antwort gezögert, dann ein kaum vernehmbares »Ja« hören lassen.
»Und Holdenried? Er hat eine neue Partnerin?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr.«
Sie hatte sich den Namen und die Anschrift seiner Werkstatt und seines Geschäftspartners in Heilbronn notiert, abschließend noch nach seiner Freizeitbeschäftigung gefragt. »Holdenried ist ebenfalls begeisterter Schachspieler?«
Ihre Worte hatten die Stimmung der jungen Frau
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