Schwaben-Herbst
sie ihn bedrängt.
Feiner war – zum einzigen Mal an diesem gesamten Nachmittag, wie sie sehr genau erinnerte – in einen kurzen Anfall heftiger Aggression verfallen, hatte ihr seine Antwort ganz im Gegensatz zu seinen übrigen Worten voller Emotionen, ja sogar Wut und Zorn entgegengeschleudert – Gefühle, die sie dem Mann zumindest in diesem Ausmaß nicht im Entferntesten zugetraut hätte.
»Ja, wissen Sie denn nichts von seinem Streit mit diesem Falk?«, hatte er zwar nicht gebrüllt, aber in für ihn ungewohnter Lautstärke und Vehemenz von sich gegeben.
»Was für ein Falk?«
»Holdenried. Sie waren befreundet, bis Andreas ihm Julia wegschnappte. Julia, Holdenrieds Braut. Die waren schon so gut wie verheiratet. Und dann schnappte Andreas sie ihm weg. Der hat mehrfach gedroht, ihn umzulegen, wissen Sie nichts davon?«
»Wann soll das gewesen sein?«
»Was weiß ich? Vor einem halben Jahr, vielleicht auch schon etwas länger.«
»Wir werden das nachprüfen«, hatte Neundorf erklärt, Feiners Antworten dadurch augenblicklich die Schärfe genommen.
War das nur ein billiges Ablenkungsmanöver oder beruhte dieser Hinweis auf einem realen Hintergrund?
»Ich muss den angeblichen Drohungen dieses Holdenried und der Sache mit Sattlers Freundin auf jeden Fall nachgehen«, war sie sich ihrer Aufgabe im Gespräch mit der Staatsanwältin bewusst, »wenn Feiners Aussage auch nur einen Kern von Wahrheit enthält, hätten wir ein weiteres Motiv.«
»Tun Sie das«, zeigte sich Thekla Kliss einverstanden. »Wir werden den Mann vorerst in Untersuchungshaft behalten. Der Richter unterschreibt mir das sofort, auch wenn ich ihm kein Geständnis bieten kann. Die Tatsache, dass Feiner ohne jede Gegenwehr einräumte, seinen Freund in der Tatnacht aufgesucht zu haben, befreit ihn schließlich nicht automatisch von jeder Schuld. Vorerst bleibt er unser Hauptverdächtiger, auch wenn ich gewisse Zweifel nicht abstreiten kann.«
5.
Den von Lukas Feiner erwähnten Falk Holdenried aufzuspüren, erforderte weit mehr Aufwand als Neundorf erwartet hatte. Fast den gesamten Freitag war sie damit beschäftigt, den Mann zu finden.
»Sehe ich das richtig: Sie waren ursprünglich mit Falk Holdenried befreundet«, hatte sie am Vormittag Julia Gerber gefragt, nachdem sie sie nach mehreren Versuchen endlich an ihrem Arbeitsplatz im Steinenberg-Klinikum in Reutlingen telefonisch erreicht hatte. »Dann lernten Sie Andreas Sattler kennen und verließen Ihren früheren Freund.«
»Wieso interessiert Sie das?«
»Wieso? Weil ich die Antwort auf folgende Frage benötige: Ist es möglich, dass Falk Holdenried auf Andreas Sattler äußerst schlecht zu sprechen ist, weil er ihm vorwirft, dass er ihm seine Freundin ausgespannt hat?«
»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Falk …«
»Jetzt antworten Sie doch bitte auf meine Frage.«
Die junge Frau hatte lange mit ihrer Erklärung gezögert.
»Also, was soll ich dazu sagen …«
»Ja oder nein.« Der Ärger in Neundorfs Stimme war nicht länger zu überhören gewesen.
»Also, wenn Sie das so meinen: Ja, das ist möglich.« Sie hatte einen Moment geschwiegen, dann eine kurze Ergänzung hinzugefügt. »Jedenfalls aus der Sicht von Falk. Aber aus seiner Sicht ist alles möglich.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Julia Gerber hatte eine Weile gebraucht sich zu einer offenen Antwort durchzuringen. »Also, Falk, er ist, wie soll ich es formulieren, sagen wir so, ein schwieriger Mensch. Er fühlt sich von jedem und allem verfolgt und belästigt.«
»In welcher Form äußert sich das?«
»Wie sich das äußert? In allem. Manchmal war es nicht einfach mit ihm.«
Neundorf hatte sich die umständlichen Formulierungen mit immer größerer Ungeduld angehört, hatte versucht, die verklausulierte Botschaft zwischen den Zeilen zu entziffern. »Holdenried ist ein launischer Typ, verstehe ich das richtig? Er ist oft rücksichtslos, kommt nicht besonders gut mit anderen aus, wird auch gewalttätig. Korrekt?«
Am anderen Ende war es ruhig geblieben.
»Sind meine Schlussfolgerungen korrekt?«, hatte Neundorf wiederholt. Zu oft schon war sie mit Frauen, die Ähnliches erlebt hatten, zusammengetroffen, zu oft schon hatte sie sich die beschönigenden, eine heile Welt vortäuschenden Erzählungen aus vorwiegend weiblichem Mund angehört, als dass sie sich davon noch länger in die Irre führen ließ.
Mehr als ein zögerndes: »So kann man das vielleicht sagen«, war nicht erfolgt.
»Ab und an ist er
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