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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Köngen. Sie haben heute Nacht nicht auf ihn gewartet?«
    »Ich?« Astrid Grauselmaier benötigte ein paar Sekunden, die Frage zu verstehen, schüttelte dann den Kopf. »Nein. Aber dann hatte er wenigstens noch einen schönen Abend. Vorträge, da fühlt er sich wohl. Egal, was er den Leuten erzählt. Hauptsache, alle hören ihm zu.« Sie schwieg einen Moment, sah Neundorfs zweifelnde Miene. »Nach einem Vortrag gestorben. Das hat er sich nicht träumen lassen.«
    »Sie wussten nicht, dass er einen Vortrag hielt?« Die Skepsis in der Stimme der Kommissarin war nicht zu überhören.
    Die Frau zögerte nur kurz mit ihrer Antwort. »Woher denn? Wir leben seit fast zwei Jahren getrennt.«
    »Oh, das war mir nicht bekannt.« Neundorf wandte den Blick von ihrer Gesprächspartnerin, schaute zu der Kaffeemaschine auf der Anrichte, die leise vor sich hin kokelte. Der Ermordete und seine Frau lebten getrennt. Das erklärte das seltsame Verhalten ihres Gegenüber zur Genüge, die offenkundige Distanz, die die Frau zum Ausdruck brachte. Nach dem, was sie bisher offenbart hatte, schien die Ehe emotional wirklich am Ende, zumindest was die eine Seite anbelangte. Wie der andere Partner dazu stand, war jetzt nicht mehr zu erfahren. »Dann hat mich mein Kollege leider falsch informiert. Ich bat ihn um die Adresse des nächsten Angehörigen.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Martin will es so. Dass wir getrennt leben, soll möglichst lange geheim bleiben.«
    »Sie sind noch nicht geschieden?«
    »Um Gottes willen. Wissen Sie nicht, für welche Partei er im Landtag sitzt? Nach außen die Fassade wahren ist ihr wichtigstes Programm – die sind nicht umsonst seit Jahrzehnten an der Macht.«
    Neundorf wunderte sich immer mehr über die deutlichen Worte ihrer Gesprächspartnerin. Das war nicht nur Distanz, was hier zum Ausdruck kam, das war Entfremdung, ja Verbitterung. Astrid Grauselmaier hatte das Spiel ihres zum Polit-Profi mutierten Partners wohl lange genug mitgespielt, ihre eigenen Interessen und letztendlich sich selbst, ihre eigene Persönlichkeit diesem machtversessenen Streben geopfert, so lange, bis sie es nicht mehr hatte ertragen können. Und selbst dann, als die Erkenntnis nicht mehr länger zu verbergen war, dass es keinerlei Gemeinsamkeiten mehr gab, war ihr die Trennung verwehrt geblieben. Hatte sie jetzt selbst für den endgültigen Schlussstrich gesorgt?
    »Wie ist es passiert?« Die Frau hatte sich erhoben, war zur Kaffeemaschine gegangen, hatte die Kanne hin und her geschwenkt. »Sie auch?«
    Neundorf nickte mit dem Kopf, überlegte, ob sie die ganze Wahrheit mitteilen sollte. »Er wurde erschossen.«
    »Wo?«
    »Auf der Straße. Nach diesem Vortrag.«
    »Und niemand war in seiner Nähe?«
    »Wir wissen es noch nicht.« Neundorf hatte mehrere Beamte darauf angesetzt, die gesamte Umgebung des Tatorts abzugrasen und alle Anwohner zu befragen. Sie hatte Tanja Giebert und ihre Kollegin ersucht, ihr eine Liste von sämtlichen Teilnehmern der Veranstaltung in Köngen zu erstellen, soweit sie ihnen bekannt waren, hatte zudem die Medien darum gebeten, dazu aufzurufen, dass sich alle an diesem Abend in der Zehntscheuer Versammelten bei der Polizei melden sollten. Das bedeutete unermesslich viel Arbeit, gewiss, schien ihr aber unerlässlich, wenn sie eine Chance haben wollte, den Weg zum Mörder zu finden. Wo immer der Täter sich aufgehalten hatte, ob mitten unter dem Publikum oder – was ihr wahrscheinlicher schien – draußen auf der Straße, irgendjemand, das lehrte ihre berufliche Erfahrung, hatte ihn gesehen – ohne von seinem mörderischen Plan zu wissen, allerdings. Ihn aus all den anderen Teilnehmern dieses Abends herauszufinden, war ihre Aufgabe. Den ersten Aufruf im Radio hatte sie auf der Fahrt am heutigen Morgen schon gehört.
    »Der Täter hatte es auf Martin abgesehen?«, fragte Astrid Grauselmaier. Sie brachte die Kaffeekanne, Milch, Löffel und Geschirr auf einem runden Tablett, stellte es auf dem Tisch ab. »Oder handelt es sich um einen missglückten Raubüberfall?«
    Neundorf zögerte, rang sich dann zu einer ehrlichen Antwort durch. Die Frau war ihr sympathisch; sie konnte die Empfindung nicht länger zur Seite schieben, hatte Mühe, die kritische Position beizubehalten, die zur Ausübung ihrer beruflichen Ermittlungen unbedingt notwendig war. »Es war kein Raubüberfall, nein«, antwortete sie. »Ihr ehemaliger Partner war bewusst ausgewählt. Der Täter attackierte ihn zuerst mit Salzsäure,

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