Schwaben-Herbst
ist gut. Kommen Sie bitte. Dritte Etage links.«
Sie hörte den Türöffner summen, drückte das schwere Portal auf. Ein schmaler, mit hellen Platten ausgelegter Weg führte, von rechteckig angelegten Rasenflächen flankiert, auf ein steil aufragendes Gebäude zu. Neundorf sah, wie die Glastür vor ihr zur Seite schwang, erreichte eine Kombination aus Treppe und Fahrstuhl. Sie entschied sich für die Treppe, stieg die Stufen hoch. Der intensive Duft frischer Zitronen und anderer exotischer Früchte lag in der Luft.
Die Frau im dritten Stockwerk kam direkt aus dem Bad. Sie hatte kurze, dunkle Haare, ein schmales, gebräuntes Gesicht, steckte in einem flauschigen dunklen Hausanzug. Ein feuchtes Badetuch lag um ihre Schulter gewickelt.
Neundorf zeigte ihren Ausweis, reichte ihr die Hand. »Frau Silvia Bäuerle?«
Die Angesprochene nickte, bat sie, einzutreten. »Die bin ich.«
Die Kommissarin schätzte sie auf Mitte Dreißig, folgte ihr in die Wohnung. Eine breite, von zwei mannshohen Spiegeln flankierte Diele, weiß gekachelter Boden, winzige, in die Decke eingelassene Strahler.
»Erwarten Sie sich bitte nicht zuviel von einem Gespräch«, sagte Silvia Bäuerle. »Ich kann es immer noch nicht glauben.« Sie war mitten in der Diele stehen geblieben, hatte sich zu ihrer Besucherin umgedreht.
Neundorf sah die Tränen auf ihrer rechten Wange. »Wann haben Sie es erfahren?«, fragte sie.
Silvia Bäuerle wies nach links zur ersten Tür, bat sie erneut, ihr zu folgen. Die Kommissarin betrat das Zimmer, glaubte zu träumen. Von riesigen, fast vom Boden bis zur Decke reichenden Fensterfronten und nur minimalistischer Einrichtung geprägt, gab der Raum den Blick auf die gesamte Umgebung frei. Der komplette Stuttgarter Talkessel lag ihr zu Füßen. Links der Turm des Hauptbahnhofs, weiter rechts die Fronten des Neuen Schlosses mit einem Teil der Parkanlagen des Schlossplatzes. Unmittelbar davor die Glaskuppel der Galerie des Königsbaus, weiter rechts das Alte Schloss und die Stiftskirche. Darüber die Hügelkette der anderen Talseite, von der Uhlandhöhe bis nach Degerloch, überragt von den filigran wirkenden Masten des Fernmelde- und des Fernsehturms.
»Heute am frühen Morgen. Ein Bekannter aus Wendlingen, der bei dem Vortrag in Köngen dabei war, hatte davon gehört. Er rief mich an.«
Neundorf musste sich von dem Anblick der Umgebung losreißen, auf das Gespräch mit der Frau konzentrieren. Sie folgte ihr zu einer großen, dunkelblauen Polsterecke, die im Halbrund mitten in dem weitläufigen Raum um einen großen Glastisch platziert war. Sie nahm auf einem der Zweisitzer Platz, hatte die Klinge mit der Sünderstaffel auf der anderen Seite des Talkessels im Blick, wo sie im letzten Jahr auf die Leiche eines jungen Mädchens gestoßen waren.
»Sie haben ihn nicht zu seinem Vortrag begleitet?«, fragte sie.
»Freitag ist mein persönlicher Gesundheits-Tag. Da finden Sie mich im Fitness-Studio. Jeden Freitagabend.«
»Und Sie haben sich nicht gewundert, dass er heute Nacht nicht nach Hause kam? Er wohnt doch hier?«
Silvia Bäuerle nickte, legte das feuchte Badetuch ab, nahm Neundorf gegenüber Platz. »Ich wusste, dass es spät würde. Wenn er einen Vortrag hält, kommt er selten vor Eins, Zwei in der Nacht. Sie hocken noch irgendwo zusammen, um sich abzureagieren. Er kann dann eh kaum schlafen, ist viel zu aufgedreht.«
»Mit wem sitzt er dann noch zusammen?«
»Verschiedene Leute«, antwortete die Frau. »Er kennt doch das halbe Ländle. Wenn man so lange schon im Geschäft ist …« Sie schluckte, fuhr kurz darauf fort. »Jedenfalls bin ich eingeschlafen. Und wach wurde ich vom Telefon …«
»Mit der Information, was geschehen ist.«
Silvia Bäuerle nickte, stand auf, holte sich in einer schmalen Anrichte ein Papiertaschentuch, wischte sich das Gesicht sauber. »Wieso denn Martin?«, fragte sie dann. »Er hat doch niemand etwas getan.« Sie setzte sich, tupfte mit dem Taschentuch ihre Wangen trocken.
»Sind Sie sich da wirklich so sicher?« Neundorf sah, wie es im Gesicht ihres Gegenüber zuckte, setzte schnell ein besänftigendes: »Seit wann arbeiten Sie mit ihm zusammen?« hinzu.
Die Frau musste nicht lange überlegen, hatte die Antwort sofort parat. »Über fünf Jahre. Fast fünfeinhalb.«
»Als seine persönliche Sekretärin.«
»Inzwischen ja. Ursprünglich als seine Wahlkampf-Managerin.«
»Dann kennen Sie ihn ziemlich gut.«
»Auf jeden Fall.«
»Sagt Ihnen der Name Andreas Sattler
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