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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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pinkeln will. Wer so laut schreit, hat keine Kraft mehr, Schaden anzurichten. «
    »Hoffentlich hat er sich da nicht getäuscht.«
    »Sie glauben …«
    »Ich weiß es nicht. Ausschließen können wir im Moment wohl gar nichts. Herr Grauselmaier hat keine Nachforschungen angestellt, wer den Brief geschrieben haben könnte?«
    »Ich glaube nicht.« Sie unterbrach ihre Antwort für wenige Sekunden, korrigierte sich dann. »Das heißt … Die Sache mit dieser Vergewaltigung eines jungen Mädchens. Ich glaube, wir überprüften die Zeitungen, ob es einen solchen Vorfall gegeben hatte.«
    »Und? Hat es ihn gegeben?«
    »Ja, doch. Martin hatte damit allerdings nicht im Geringsten zu tun. Das Urteil dieses Richters ist doch absurd. Zwei junge Verbrecher einfach frei von Schuld zu sprechen.«
    »Von frei von Schuld zu sprechen habe ich nichts gelesen. Der Richter wies nur darauf hin, dass die beiden 16- und 17- jährigen die Tat nach Erkenntnis der polizeilichen Ermittlungen unter dem Einfluss eines Films verübt haben, der Gewalt völlig verharmloste. Er lief in einem Privatsender. Was ich nicht verstehe: Was hat Herr Grauselmaier mit Privatsendern zu tun?«
    »Oh«, antwortete Silvia Bäuerle, »das ist ganz einfach. Martin engagierte sich schon seit Beginn seiner politischen Tätigkeit für die Vielfalt medialer Angebote. Er war schon 1983 in der damaligen Regierung Kohl dafür verantwortlich, die gesetzlichen Grundlagen für die Gründung und den Betrieb von Privatsendern zu erarbeiten. Eines der ersten Gesetze, das wir damals nach der Machtübernahme durchpaukten, berichtete er immer stolz. Kulturelle Pluralität und mediale Diversifikation, das ist unsere Zukunft, war er überzeugt. Dreißig Sender, hundert Kanäle, Tag und Nacht.«
    »Aha.«
    »Ja, und deshalb kämpfte er immer dafür, dass die Bundesländer, gerade auch unser eigenes, genügend Kanäle für private Sender freihalten.«
    »Seltsam.« Neundorf erinnerte sich an den Vortrag Grauselmaiers in Köngen an dessen Todestag.
    »Was ist seltsam?«
    »Der Vortrag, den Herr Grauselmaier in Köngen hielt. Wenn ich mich richtig erinnere, lautete er: Lesen statt glotzen – Bücher statt Bildschirm – die Zukunft unserer Kinder sichern! Lesen statt glotzen – und das von einem Politiker, der sich für die Interessen des Privatfernsehens engagiert?«
    Silvia Bäuerle lachte laut. »Mein Gott, das dürfen Sie nicht so ernst nehmen! Im Moment ist es eben modern, von den angeblichen Gefahren des Fernsehens zu reden und das Lesen zu propagieren. Da konnte Martin sich nicht ausklinken. Er ließ sich eine zünftige Rede schreiben und tingelte mit der durchs Land. Imagepflege, verstehen Sie. Das ist das A und O eines erfolgreichen Politikers, der Macht und Einfluss behalten will.«
    »Indem er das Gegenteil dessen erzählt, was er seit Jahrzehnten praktiziert?«
    »Sie nehmen das zu ernst. Die Leute sind begeistert, wenn sie ihn hören. Lesen zu propagieren ist eben gerade angesagt, da glotzt doch trotzdem kein Mensch auch nur eine Minute weniger. Aber im Moment wollen sie das hören. Das geht vorbei. Hauptsache, Martin wird immer wieder gewählt und das mit großer Mehrheit, was wollen Sie mehr?«
    »Jetzt zum Glück nicht mehr.«
    »Wie meinen Sie das?« Silvia Bäuerles Stimme hatte einen eiskalten Tonfall angenommen.
    »Ich meine überhaupt nichts«, konterte Neundorf, versuchte, ihre Gesprächspartnerin abzulenken. »Haben Sie herausgefunden, wie das vergewaltigte Mädchen und sein Vater, der wohl diesen Drohbrief schrieb, heißen?«
    »Wenn ich mich richtig erinnere, ja.« Die Frau schien sich wieder beruhigt zu haben. »Wir beauftragten sogar einen Rechtsanwalt, dem Mann eine Klage anzudrohen, falls er keine Ruhe gäbe. Es war dieser Fall, jetzt weiß ich es wieder. Sie haben doch den Ordner mit den Briefen. Blättern Sie weiter, Sie müssten es finden.«
    Neundorf bat die Frau, einen Moment zu warten, nahm sich die nächsten Seiten vor, sah die Aussage Silvia Bäuerles bestätigt. Der Brief des Stuttgarter Rechtsanwaltsbüros Seitz, Dengler und Raabe an einen Heiko Gerwald in Hechingen brachte den Verdacht Martin Grauselmaiers zum Ausdruck, dass es sich bei dem Angeschriebenen um den Verfasser der anonymen Drohung handle. Zugleich machte er deutlich, dass der Politiker gewillt war, die Angelegenheit im Fall einer Wiederholung vor Gericht zu bringen.
    »Ich habe das Schreiben der Anwälte vor mir. Wie ging es weiter? Soweit ich es hier aus den Unterlagen ersehe,

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