Schwaben-Herbst
ist kein weiteres Schriftstück zu dieser Sache mehr beigeheftet.«
»Das war es dann auch. Wir haben von dem Mann nichts mehr gehört.«
»Er hat sofort Ruhe gegeben?«
»Soweit ich weiß, ja. Mir ist zu dieser Sache nichts mehr bekannt.«
»Herr Grauselmaier hat nicht persönlich mit ihm gesprochen?«
»Um Gottes Willen, nein. Martin hat genug zu tun. Er kann sich nicht um jeden Störenfried persönlich kümmern.«
Dann muss ich das jetzt wohl nachholen, überlegte Neundorf. Sie war froh, das Gespräch beenden zu können, legte den Hörer nieder. Zwei Fragenkomplexe schwirrten ihr durch den Kopf: Ließ, wer solch einen Drohbrief schrieb, sich wirklich von der 08/15-Antwort eines Rechtsanwaltsbüros beeindrucken? Oder konnte eine derartige Reaktion, die unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass Grauselmaier nicht im Geringsten bereit war, sich auf die schmerzhaften Erlebnisse dieser Familie einzulassen, nicht sogar gegenteilig wirken, nämlich den Verfasser in seinen Vorurteilen bestärken, ihn gar dazu veranlassen, die angekündigte Attacke jetzt tatsächlich zu verüben?
Das war die eine Problematik, mit der sie sich befassen musste. Der zweite Fragenkomplex war ganz anderer Natur. Er betraf die Arbeit, das Auftreten, den Charakter des Ermordeten. War Grauselmaier zu Lebzeiten wirklich ein solcher Unsympath, wie er ihr jetzt wenige Tage nach seinem Tod erschien?
Sie musste sich zusammenreißen, auf ihre Arbeit konzentrieren. Heiko Gerwald, der Verfasser des Drohschreibens … Sie notierte sich dessen Adresse, beschloss, den Mann sofort am nächsten Morgen aufzusuchen und ihn genau zu überprüfen. Martin Grauselmaier war getötet worden. Es gab keinen Grund, eine noch so absurd erscheinende Drohung auf die leichte Schulter zu nehmen.
14.
Kurz nach einundzwanzig Uhr hatte Braig die Namen und Adressen der drei Kunden, die zwischen 17.35 Uhr und 17.50 Uhr mit Karte bezahlt hatten, ausgedruckt vor sich liegen. Es hatte einiger Anstrengungen bedurft, die zuständigen Sachbearbeiter der regionalen Kreissparkasse, der Volksbank und der Sparda davon zu überzeugen, dass er noch am selben Abend Einsicht in die Daten dieser bisher noch anonymen Kunden wünschte. Eines der Geldhäuser hatte die gewünschte Auskunft nach einigem Zögern ohne weitere Auflagen geliefert, die beiden anderen auf einer richterlichen Anordnung beharrt. Braig war sich der zunehmenden Erosion des Datenschutzes durch fortschreitende Gesetzeseinschränkungen bewusst, hatte das Ansinnen der beiden Banken daher verstanden, auch wenn es ihm zusätzliche Arbeit abverlangte. Nach einigem Hin und Her hatte er trotz der späten Stunde Steffen Bockisch bei der Staatsanwaltschaft erreicht und sein Problem erklärt. Keine dreißig Minuten später war den Banken die richterliche Anordnung zugegangen.
Ulrike Maier, Plochinger Straße. Yannick Arning, Rohracker Straße. Martina Feucht, Richard-Hirschmann-Straße.
Mit Ausnahme Arnings handelte es sich um Esslinger Adressen, der einzige Mann in der Reihe lebte der Anschrift nach in Stuttgart.
Braig beschloss, sich zuerst um die beiden Frauen zu kümmern – auch wenn natürlich die Möglichkeit bestand, dass eine Frau mit der Karte Arnings eingekauft hatte – und bat Bareiss, ihn zu begleiten.
Die Plochinger Straße wurde trotz der späten Stunde noch immer von dichtem Verkehr geplagt. Auto auf Auto lärmte stadtauswärts wie -einwärts an den mehrstöckigen Gebäuden vorbei, wirbelte Schmutz und Abgase in die Luft, blendete mit gleißenden Scheinwerfern die Augen. Braig suchte nach der ausgeschilderten Hausnummer, fand den Namen in der zweiten Reihe des Klingelbords: Maier. Er läutete zweimal, schaute in die Höhe, sah, dass die Wohnung im ersten Obergeschoss im Dunkeln lag.
»Entweder, die haben sich schon ins Bett verzogen, oder sie sind ausgeflogen«, meinte er, drückte nach kurzem Warten erneut auf die Glocke. Nichts, keine Reaktion, auch keine Bewegung hinter den Vorhängen, soweit das von der Straße her zu beurteilen war.
»Was mich betrifft, können wir es später noch einmal versuchen«, bot Bareiss an, »falls wir die Frau nicht in der Hirschmann-Straße finden.«
Braig unternahm einen letzten Versuch, gab die Nummer Ulrike Maiers in sein Handy ein. Die anonyme, weibliche Stimme eines Anrufbeantworters wies darauf hin, dass zur Zeit niemand zuhause sei und er sein Anliegen deshalb auf Band sprechen solle. Er brach die Verbindung ab, ließ sich von Bareiss den Weg zur
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