Schwaben-Herbst
die Reihe an ihn kommen sollte, dann hier. Zu deutlich hatte er davon gesprochen, wie sehr er die Arbeit im Weinberg schätzte, das gesellige Miteinander, die Stunden an der frischen Luft, das deftige Essen und Trinken, die Kiste mit verschiedenen Lagen als Lohn. Wenn der Täter es auch auf ihn abgesehen hatte – und daran existierte für ihn nicht der geringste Zweifel – würde er es hier versuchen, hier in unmittelbarer Nähe, wo es geschehen war, fast genau zwölf Monate zuvor.
5.
Der kleine Ort machte seinem Ruf alle Ehre. Malerisch in ein schmales Tal zwischen zwei mit Weinreben und aufgelockertem Wald überzogene Hänge gebettet, reihte sich Fachwerkhaus an Fachwerkhaus. Kleine, verwinkelte Gebäude, von blühenden Gärten gesäumte Höfe, mit Blumen geschmückte Fassaden, friedlich auf Fensterbänken dösende Katzen. Ältere Frauen und Männer die Wege kehrend, jedes noch so kleine Blatt aufklaubend, spielende Kinder, Wanderer und Touristen, die Schönheit der Umgebung bewundernd. Zum Ortsende hin das pittoreske, weit in die Dorfstraße ragende Rathaus mit offener Laube und verschnörkeltem Fachwerk, ein winziges, spitz aufragendes Glockentürmchen auf dem Dach. Alte Wappen und Symbole weithin bekannter Gasthöfe, Besenwirtschaften und Weinbaubetriebe an den Fassaden, bis in den letzten Winkel Strümpfelbachs Bottiche voller Trauben, Körbe mit Nüssen, das würzige Aroma gärenden Obstes in den schmalen Gassen.
Braig und Neundorf waren der wegen Bauarbeiten gesperrten Hauptstraße vom Ortseingang her zu Fuß gefolgt, hatten an allen Häusern, die Hinweise auf eine Beschäftigung ihrer Bewohner mit dem Weinbau erahnen ließen, Sattlers, Offenbachs und Grauselmaiers Foto gezeigt und danach gefragt, ob die Männer bekannt waren, dabei jedoch nur die immer gleichen Antworten erhalten, dass nur die wenigen Haupterwerbswinzer fremde Arbeiter beschäftigten. »Herbschde deahnt mir mit unsere Familie und unsere Freund. Dia kriaget ebbes Guads zum Esse und zum Trinke und dafür schaffet se. Fremde könnet mir net bezahle. An dene kloine Stückle isch net viel zu verdiene.«
Den ersten im Haupterwerb tätigen Weinbauern hatten sie mitten in der Arbeit, auf der Anhöhe über dem Ort in unmittelbarer Nähe der Bronze-Skulptur einer Wasserschöpferin getroffen.
»Ist das nicht ein Politiker?«, hatte der Mann gefragt, auf Grauselmaiers Foto deutend.
»Sie erinnern sich an seinen Vortrag hier im letzten Oktober?«
»Oktober?«, hatte ihr Gesprächspartner erwidert. »Glauben Sie wirklich, im Oktober haben wir Zeit für einen Vortrag?« Die Stirn in Falten gelegt, hatte er sie kopfschüttelnd betrachtet.
»Was ist mit den beiden anderen Männern? Haben Sie die schon einmal gesehen?«
Neundorfs Frage war ebenso abschlägig beantwortet worden wie die ihres Kollegen.
»Keine Ahnung. In welchem Zusammenhang soll das gewesen sein?«
»Als Erntehelfer. Zumindest einer von ihnen soll letztes Jahr hier in Strümpfelbach beim Herbsten beschäftigt gewesen sein.«
»Stammt er aus Polen? Wir beschäftigen nur Leute aus Polen.«
»Ausschließlich?«
»Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht. Für die niedrigen Löhne, die wir zahlen, bekommen Sie kaum Einheimische.«
»Wie steht es mit Ihren Kollegen? Irgendwo muss der Mann beschäftigt gewesen sein.« Neundorf deutete auf Sattlers Foto.
»Die Robers. Das sind die einzigen. Höchstens noch die Rehbergers und die Gohls. Die haben zwar auch bei uns hier Reben, ihre Höfe liegen aber in Kernen und Beutelsbach.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo wir die heute Abend noch finden?«
Der Weinbauer hatte nicht lange gezögert, sich zur Seite gedreht und nach Norden gezeigt. »Die Robers arbeiten beide noch. Dort, bei dem Felsen. Die Rehbergers und die Gohls?« Er schaute ratlos zu ihnen her. »Mal sieht man sich, mal nicht. Wir sind im Finale, noch zwei bis drei Tage, dann haben wir es geschafft. Dieses Jahr ist alles früher. Nur noch der Zweigelt, der Muskat-Trollinger und der Riesling. Dann sind die Fässer voll.«
Sie hatten sich bei dem Mann für die Auskunft bedankt, waren in die Richtung marschiert, in die er gezeigt hatte. Eine Gruppe von sechs oder sieben Leuten war unweit eines mächtigen Felsbrockens mit der Traubenernte beschäftigt. Sie passierten den großen Stein, vor dem eine Bank eine prächtige Aussicht auf den Ort und die Weinberge gewährte, sahen die Skulptur eines Horchenden, der, die Hand am Ohr, seine Umgebung belauschte.
»Wir suchen einen Herrn
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