Schwaben-Herbst
nichts heißen. Strumpfelbach ist gerade mal 15 Kilometer von Stuttgart entfernt. Wir sollten das noch einmal genau überprüfen.«
»Das ist richtig. Konzentrieren wir uns aber doch zuerst einmal auf Sattler und Grauselmaier«, schlug Neundorf vor. »Beide waren also an diesem 6. Oktober in Strümpfelbach. Wenn wir nicht vollkommen daneben liegen, müssen sie an diesem Tag aufeinander getroffen sein. In welchem Zusammenhang war das und zu welcher Zeit? Wer war noch dabei – Offenbach vielleicht und ihr Mörder?« Sie trommelte aufgeregt auf die Schreibtischplatte, sah das zustimmende Nicken ihrer Kollegen. »Hier müssen wir ansetzen, jetzt sofort.«
»Verdammte Kacke«, brummte Felsentretter, »jetzt haben wir also den gemeinsamen Punkt.«
»Wie heißt der Weinbauer, bei dem Andreas Sattler arbeitete?«, fragte Neundorf.
»Tut mir leid«, antwortete Braig, »darüber konnte sein Vater nichts sagen. Er nannte mir den Namen eines Kommilitonen seines Sohnes. Er meinte, der könne es wissen, sei vielleicht dabei gewesen. Ich habe versucht, den Mann zu erreichen, leider vergeblich.«
»Wie heißt er?«
»Jan Feller. Soll in Ludwigsburg wohnen. Andreas Sattler kannte ihn vom Studium her, meinte sein Vater.«
»Du hast die Nummer überprüft?«
Braig nickte. »Feller ist darunter gemeldet, ja. Ich hoffe, dass ich ihn heute Abend an die Strippe bekomme. Er scheint kein Handy zu haben, ich konnte ihn nicht finden.«
Neundorf schob das Papier mit der Übersicht der beiden Biographien auf dem Schreibtisch vor sich hin und her, richtete sich plötzlich gerade auf. »Solange können wir nicht warten. Ich habe eine bessere Idee. Wie steht es mit Fotos von Andreas Sattler? Wir haben gute Bilder?«
Braig nickte. »Kein Problem. Du meinst, wir sollten nach Strümpfelbach fahren, die Bauern dort nach ihm fragen?«
»So geht es am schnellsten, denke ich. Der Ort ist überschaubar. Ich hoffe doch, dass sich die Familie, bei der er arbeitete, an ihn erinnert. Dann können wir auch gleich danach fragen, ob jemand darüber Bescheid weiß, ob Sattler bei Grauselmaiers Vortrag war. Vielleicht haben wir Glück.«
4.
Zum Glück hatte er das Fernglas dabei. Ein großes, schweres Gerät, bei weitem nicht so handlich wie die neuen, seit vielen Jahren erhältlichen Apparate, aber schnell scharfzustellen und kaum zu übertreffen in der Leistung. Das Glas an den Augen, auf einem der Ausblicke, der Schützenhütte etwa, dem Hirschkopf oder vom Waldrand oben in die Weinberge spähend, hatte er alles deutlich vor sich, was irgendwo in der Umgebung lief.
Gruppen von Erntehelfern etwa, die Ameisen gleich in den Weinbergen umherwuselten, die Trauben in Körben sammelten, sie dann nach unten oder den Hang hoch schleppten oder sie in Bottiche kippten, die auf schlittenähnlichen Gefährten von Seilzügen zwischen den Rebstöcken in die Höhe gezogen wurden, wo man sie in die breiten, auf landwirtschaftlichen Anhängern wartenden Behälter schüttete. Weinbauern, die mit prüfenden Blicken die Reife ihrer Früchte begutachteten oder letzte Erntevorbereitungen trafen. Spaziergänger, Wanderer, Radfahrer, die die steilen Anstiege der asphaltierten Wege nicht scheuten, Gäste des Hotels auf dem Landgut Burg, die hier in unmittelbarer Nachbarschaft der Weinberge logierten.
Er wandte den Blick zur Seite, erkannte eine der originellen Skulpturen der Bildhauerfamilie Nuss, die seit einigen Jahren die Hauptwege der Umgebung schmückten: Eine lebensecht große Bronzefigur, einen Mann darstellend, der einen Handstand vollzog, vom Künstler als Akrobat bezeichnet. Auf der anderen Seite der Klinge eine hoch aufgerichtete Frau, weithin sichtbar mit einer Gans auf dem Kopf, am unteren Ende des Einschnitts ein neugierig in die Landschaft spähender Ziegenbock.
Er betrachtete das wohlgenährte bronzene Tier durch das Fernglas, hatte die Szene plötzlich wieder vor Augen: Die junge Erntehelferin, ihre beiden Begleiter, zwei Flaschen neuen Weins, der Einbruch der Dämmerung … Sie hatten den Ziegenbock passiert, sich über seine Neugier unterhalten, waren später noch an anderen Figuren vorbeigekommen …
Er hörte das laute Bellen eines Hundes, schrak auf. Hinter ihm, wenige Meter unterhalb, preschte das Tier über den Weg, einen zerbissenen kleinen Stock im Visier, der vor ihm durch die Luft wirbelte. Er sah einen Mann nach dem Vierbeiner, einem wuscheligen, etwas zerzaust wirkenden weißen Pudel spähen, wusste, dass er auf der richtigen Spur war. Wenn
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