Schwaben-Liebe
Mittvierziger mit ins Rötliche tendierenden, schütteren Haaren und einem schmalen Vollbart, zog seine Hand nach kurzer Begrüßung so schnell wieder zurück, dass es schon fast als unhöfliche Geste empfunden werden konnte. Der Mann war ihm nicht nur seiner unverschämten Worte am Telefon, sondern auch des jovialen Grinsens wegen, zu dem sein Gesicht dauerhaft verzogen schien, unsympathisch.
Dr. Krancik führte ihn in einen hellen, mit dunklen Ledersesseln ausgestatteten Raum, dessen Fenster einen direkten Blick zum nahen Turm des Ulmer Münsters erlaubte. »Nehmen Sie bitte Platz. Maximal zwanzig Minuten, Sie wissen Bescheid. Darf ich Ihnen mit einem Getränk aufwarten? Meine Sekretärin ist bereits außer Haus, viel dürfen Sie also nicht verlangen.«
Braig schüttelte den Kopf, beschloss, den Mann direkt anzugehen. Er setzte sich in einen der Sessel, wartete, bis sein Gegenüber ebenfalls Platz genommen hatte. »Darf ich wissen, wo Sie sich gestern Abend zwischen 18 und 20 Uhr aufgehalten haben?«
Dr. Krancik lachte laut auf. »Oho, was ist denn das? Verdächtigen Sie mich etwa einer Straftat?«
Braig blieb ruhig. »Beantworten Sie doch bitte meine Frage.«
»Wo ich gestern Abend war?« Der Mann wog seinen Kopf überlegend hin und her. »Muss ich einen Anwalt hinzuziehen?«
»Haben Sie Probleme mit einer ehrlichen Antwort?«
»Ich? Weshalb denn? Natürlich nicht!« Dr. Krancik ließ erneut ein kräftiges Lachen hören. Das Grinsen schien in seiner Miene festgefroren. »Gegenfrage, junger Mann: Was geht Sie das überhaupt an?«
Braig hatte zunehmend Probleme, die Arroganz seines Gegenüber zu ertragen, zumal er wahrscheinlich der um einige Jahre Ältere war, verschärfte seinen Ton. »Hören Sie: Ich fahre nicht eigens von Stuttgart hierher nach Ulm, um irgendwelche lustigen Spiele zu veranstalten. Es geht um Mord, das wissen Sie genau. Wo waren Sie also gestern Abend?«
»Sie glauben allen Ernstes, mich als Täter verdächtigen zu können?«
»Ich verdächtige Sie überhaupt nicht. Geben Sie mir eine Antwort, dann ist die Sache erledigt.«
»Sie sind gut. Sie sind wirklich gut«, feixte der Mann. »Sie wollen wissen, wo ich gestern war.«
Braig holte tief Luft, atmete kräftig durch.
»Ja, da ich mir mein Geld selbst verdienen muss, sieht es bei mir etwas anders aus als bei Beamten. 18 Uhr. Um diese Zeit kann ich es mir noch nicht leisten, auf der faulen Haut zu liegen.« Das Grinsen des Unternehmensberaters gewann an Intensität. Er legte seinen Kopf leicht auf die Seite, fixierte seinen Gesprächspartner. »Deshalb hilft es auch nicht, meine Frau zu fragen. Zwischen 18 und 20 Uhr war ich auf der Autobahn. Irgendwo in Bayern. Von Salzburg kommend.«
»Wann haben Sie Salzburg verlassen?«
Dr. Krancik wog seinen Kopf hin und her. »Gute Frage.« Er hob den Arm, warf einen Blick auf seine Uhr, als könnte sie ihm die korrekte Antwort liefern. »17.30 Uhr etwa«, sagte er dann. »Das müssen Sie meine Geschäftspartner fragen. Die wissen es sicher genauer.«
»Sie fuhren direkt nach Ulm?«
»Neu-Ulm, ja. Wir wohnen auf der anderen Donau-Seite.«
»Wann waren Sie zu Hause?«
»Wann? Was weiß ich. Gegen 21 Uhr vielleicht.«
»Sie haben keinen Umweg über Aalen gemacht?«
So sehr die Frage den Mann provozieren musste, das überzogene Grinsen verschwand nicht aus seiner Miene. Es schien wie festgemeißelt. »Aalen? Tut mir leid, nein. Hätte ich denn?«
»Sie wissen, dass Herr Hessler dort gestern Abend einem Verbrechen zum Opfer fiel.«
»Mein Beileid seinen Angehörigen, ja. Der Mann war noch viel zu jung.«
»Sie haben ihn mehrfach bedroht.«
»Na und? Ich hatte allen Grund dazu.«
»Was werfen Sie ihm vor?«
»Das wissen Sie doch genau.«
»Nein«, antwortete Braig in scharfem Ton. »Das weiß ich nicht.«
»Ich hatte bei ihm gebucht.«
»Ja, und? Was haben Sie zu beanstanden?«
»Sie haben Humor«, erklärte Dr. Krancik. »Wenn Sie eine Nutte buchen, wollen Sie dann mit der ins Fernsehen?«
»Eine Nutte?« Braig konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Was hat das mit Herrn Hesslers Agentur zu tun?«
»Tun Sie doch nicht so scheinheilig! Weshalb habe ich seine Dienste denn in Anspruch genommen?«
»Hesslers Agentur vermittelt Prostituierte?«
Sein Gegenüber lachte laut. »Jetzt erklären Sie mir aber nicht, Sie hätten das nicht gewusst! Glauben Sie etwa, ich hätte Hessler aufgesucht, weil ich eine Partnerin suche?« Dr. Krancik hatte Mühe, sich zu beruhigen, zeigte
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