Schwaben-Liebe
mein Geld selbst verdienen«, hatte er ihn fernmündlich beschieden. »Mir wirft der Staat nicht wie seinen Beamten das Geld ohne Gegenleistung hinterher.«
An manchen Tagen hat man es nur mit Verrückten zu tun, war es dem Kommissar durch den Kopf gegangen. Zu seinem Verdruss hatte er unmittelbar im Anschluss an das Telefonat auch noch einen Anruf Söderhofers entgegengenommen. Wie er auf seinem Display gesehen hatte, war dies bereits der vierte oder fünfte Versuch des Staatsanwalts, ihn an diesem Mittag zu erreichen. Bisher hatte er sich den Kontakt bewusst erspart.
»Was ist mit den beiden Frauen, Braig? Haben wir ihre Identität?«, hatte der Mann ohne jede Begrüßung losgelegt.
»Unsere Ermittlungen …«
»… immer noch kein Erfolg?«
»Hessler wurde von verschiedenen Kunden seines Instituts bedroht. Zwei dieser Herren habe ich …«
»Kunden seines Instituts? Braig, was schwadronieren Sie da? Was vergeuden Sie Ihre Zeit mit sinnlosem Palaver? Wo sind die beiden Frauen, was ist mit der Kamera?«
»Ich habe meine Kollegin Stührer damit beauftragt. Sie …«
»Ihre Kollegin? Braig, sind Sie des Wahnsinns? Was wollen Sie mit dieser Frau? In vierzehneinhalb Wochen noch nach den beiden Täterinnen suchen?«
»Ich glaube, Sie verwechseln da etwas. Die beiden Frauen, die wir suchen, müssen mit der Tat überhaupt nichts ...«
»Braig, wollen Sie mich etwa belehren? Diese beiden Frauen müssen wir finden, sonst überhaupt nichts!«
»Die Kamera interessiert Sie nicht mehr?«
Söderhofer war vollends explodiert. Braig hatte versucht, das Gespräch möglichst schnell zu einem Ende zu bringen, die Verbindung dann ohne sich zu verabschieden unterbrochen. Vor lauter Unmut über das fernmündliche Gegeifer Söderhofers war er kaum dazu gekommen, sich Gedanken über Ralf Brausers Ausführungen zu machen. Der Mann hatte seinen Wunsch nach einem unverbindlichen One-Night-Stand während der Abwesenheit seiner Frau offensichtlich teuer bezahlt: Seine Ehe war zerbrochen, sein Renommee in der Firma und der Stadt angekratzt, zudem wurde er anscheinend auf Schritt und Tritt von seiner Kurzzeitpartnerin verfolgt. War er Zeuge einer menschlichen Tragödie oder eher einer provinziellen Posse geworden?
Braig hatte sich auf der Fahrt von Geislingen nach Ulm zusammenreißen müssen, nicht laut loszulachen. Brausers Gesicht gegen Ende ihres Gesprächs, als er die SMS über das Auftauchen seiner Verehrerin erhalten hatte …
Dass der Mann ihn als Polizeibeamten nicht auch noch aufgefordert hatte, sich um die Frau zu kümmern, war alles. Hatte er ihm ihr Verhalten korrekt dargelegt, war es durchaus als
Stalking
zu werten, die strafrechtlich inakzeptable fortwährende Belästigung eines anderen Menschen. Sollte Brauser jedoch tatsächlich Anzeige erstatten, fiel das nicht in Braigs Ressort. Dann durften sich die Kollegen vor Ort um die Sache kümmern. Das Einzige, was ihn interessierte, war die Frage, ob der Mann als Mörder Hesslers infrage kam. Immerhin hatte Brauser selbst zugegeben, zur fraglichen Zeit in unmittelbarer Nähe des Tatortes gewesen zu sein. Von Oberkochen nach Aalen waren es maximal zehn Kilometer, eher noch weniger, eine Affäre von wenigen Minuten. Braig hatte sein Handy aus der Tasche gezogen und die Spurensicherer gebeten, das Auto Brausers zu überprüfen. Hatte er Hessler auf dem Gewissen, war es so sicher festzustellen. Es sei denn, er hätte ein anderes Fahrzeug benutzt …
Jacqueline Stührer zu erreichen, war ihm weder am Mittag noch jetzt geglückt. Braig hatte es sowohl unter ihrer Handy- als auch ihrer Festnetznummer im LKA versucht. Niemand hatte ihm erklären können, wo sich seine Kollegin aufhielt oder ob ihr inzwischen irgendwelche neuen Erkenntnisse zur aktuellen Ermittlung vorlagen. Die Frau war wie vom Erdboden verschluckt, so sehr er sich auch bemühte, sie aufzuspüren.
Das Büro Dr. Roland Kranciks lag keine zehn Gehminuten vom Ulmer Hauptbahnhof entfernt. Braig hatte sich einen kurzen Imbiss in der Bahnhofshalle gegönnt und seine Partnerin darüber informiert, wo und wie lange er wohl noch unterwegs war, sich dann auf den Weg zu dem Unternehmensberater gemacht.
Dr. Krancik empfing ihn mit geschäftsmäßig jovialem Lächeln, eröffnete das Gespräch mit einem Blick auf seine goldene Armbanduhr. »Immerhin, Sie sind pünktlich, das muss man Ihnen lassen. Fast auf die Minute.«
Braig musterte sein Gegenüber, einen tadellos mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte bekleideten
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