Schwaben-Messe
mehrere Fotos und zwei Granaten.
Schöffler schüttelte den Kopf, schnappte nach Luft. »Donnerkeil, bin ich erschrocken!« Er klopfte Neundorf auf den Rücken. »Du trägst schöne Spielsachen mit dir spazieren. Das sind keine Attrappen.«
Das Zittern begann in ihren Knien, erfasste ihre Beine, arbeitete sich dann ihren Rücken hoch. Zwei handtellergroße, und wie es auf den ersten Blick aussah, funktionstüchtige Granaten. Wann hatte sie den Koffer zum ersten Mal in die Hand genommen? Im Keller mit Frau Jahn. Dann die Treppe hoch, vors Haus, anschließend auf den Beifahrersitz und mehr als dreißig Kilometer von Böblingen nach Bad Cannstatt. Mitten durch den dichtesten Verkehr. Neundorf atmete tief durch, hörte, wie Schöffler telefonierte.
»Kampfmitteltruppe in den Eingang, zwei Mann, aber schnell!«
Sie zog die Stirn in die Höhe, kratzte sich am Hals. »Nichts für ungut. Aber daran hatte ich nicht im Schlaf gedacht.« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Gott, bin ich froh, dass ich dir über den Weg lief. Wer weiß, wie lange ich selbst oder sonst jemand an den Schlössern rumgebohrt hätte.«
»Wahrscheinlich wäre er irgendwann von selbst aufgegangen«, frozzelte Schöffler, seinen Schreck überspielend, »allerdings mit einem ziemlich lauten Knall.«
Sie lachte befreit, versprach ihm, eine Runde auszugeben. Schöffler lief zum Ausgang.
Zwei vermummte Gestalten traten aus dem Fahrstuhl, blickten fragend zu dem Koffer. Neundorf zeigte auf die Granaten, sah zu, wie die Männer die beiden Stücke überprüften.
»Gute Ware. Made in Germany«, erklärte der Kollege.
»Nichts Russisches?«, fragte Neundorf überrascht.
Der Mann nahm das halbrunde Exemplar in die Hand, hielt sie ihr nahe vors Gesicht. »Ist das Russki?«
Sie las die deutsch-englische Aufschrift, steckte ihren Kopf zurück.
»Gutes aus Bayern«, setzte der andere Kampfmittelbeseitiger hinzu, »habt ihr noch mehr davon?«
Sie schüttelte den Kopf, versprach, den Bericht über die Herkunft der Waffen sofort zu faxen. Ihr Herz klopfte immer noch heftig, als sie in ihr Büro kam.
Neundorf nahm den Koffer, betrachtete die Fotos. Soldaten im Wald, Soldaten in freier Landschaft, Soldaten vor zerschossenen Häusern. Gewehre, Granaten, Minen. Männer, die Kisten mit Waffen schleppten, Männer in Militäruniform, sich freundlich umarmend. Männer, auf dem Boden liegend, Maschinengewehre vor sich im Anschlag.
Sie erkannte niemand: Fremde, mit Schmutz und Erde verschmierte Gesichter, die sich wie hinter Schleiern verbargen. Anonyme Gestalten, alle dick vermummt in grün-braun gefleckten Uniformen. Figuren scheinbar ohne Charakter, Marionetten unbekannter Generäle, Befehlsempfänger ohne eigenen Willen. Plötzlich hatte sie das Bild in der Hand: Drei Kämpfer in Großaufnahme, Arm in Arm, das Foto auf der rechten Seite mutwillig zerrissen, weshalb vom dritten Mann nur noch das Ohr und der Haaransatz sowie der Arm geblieben waren. Links Jahn, in der Mitte Grandel. Sie erkannte sie sofort. Wer war der Dritte? Hägele?
Das Foto war der Beweis, der Beleg dafür, dass Jahn und Grandel eine gemeinsame Vergangenheit hatten, dass eine Verbindung existierte, nach der sie die ganze Zeit gesucht hatten. Das also war eine der Männertouren, die Mona Peters erwähnt hatte, eine der Unternehmungen, die Jahn so verroht hatte zurückkehren lassen. Krieg? Tatsächlich: Krieg!
Die vielen verschiedenen zerschossenen Häuser auf den Fotos sprachen eine eindeutige Sprache. Das waren keine Attrappen, keine Pappkartons, die als Übungsziele bereitgestellt worden waren, um gelangweilten Wohlstandsbürgern einen spannenden Abenteuerurlaub zu vermitteln. Nein, es war blutiger Ernst, was sich auf den Bildern zeigte, Szenen aus dem Krieg, wie er wirklich stattgefunden hatte.
Vor fünf Jahren etwa, hatte Mona Peters erklärt, Mitte der Neunziger also. In dieser Zeit war Wolfgang Jahn wie verwandelt, verroht, entmenschlicht von seinen Touren zurückgekehrt. Wo herrschte Krieg in jener Zeit?
Die Fotos zeigten bergig-hügelige Landschaften, Häuser, die oft auch im unversehrten Zustand nicht verputzt waren, teilweise ohne Türen, ohne Fenster in der Landschaft standen. Die Gesichter der Soldaten waren europäisch durch und durch, keine einzige dunkelhäutige oder ostasiatische Miene dabei, also nicht Russland, wo oft mongolisch-asiatische Gesichtszüge im Fernsehen präsentiert wurden? Oder sah sie hier nur deutsche und mitteleuropäische Freiwillige vor sich, die aus Spaß
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