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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Zustimmung, knatternde Gewehre, die von dem Alten nicht mehr viel übrigließen.
    Neundorf lehnte sich auf dem Boden gegen ihren Schreibtisch, starrte auf den Waldrand, dem sich die Kamera näherte, sah die vielen Blutlachen, die sich auf der Erde gebildet hatten, die entstellten Leichenteile des Mannes. Dazu johlende Männerstimmen, Jagdbegeisterung. Plötzlich ein Mädchen, vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre alt, nur von weitem zu sehen, dann mit Zoom in Großaufnahme. Panik im Gesicht, Verzweiflung in den entstellten Augen. Sie rannte über ein weites Trümmerfeld, strauchelte an zersplitterten Brettern, stolperte über spitze Steine. Vor ihr brennende Häuser, Rauchschwaden, Berge von zerstörtem Mobiliar. Plötzlich die Stimme direkt bei der Kamera: »Die Kloine krieg i z’erscht.« Knatternde Gewehre, ein Kinderkörper, der durch die Luft gewirbelt wurde. Was dann kam, überstieg selbst Neundorfs Fähigkeiten. Sie erhob sich mühsam, tastete sich mit jagendem Puls aus ihrem Büro, das Wehklagen des sterbenden Mädchens hinter sich, die Brunftschreie der Bestien, die sich an der Leiche vergingen.
    Neundorf taumelte wie in Trance. Sie wusste nicht, was sie wollte, stolperte entkräftet in Braigs Zimmer. Ihre Augen flatterten, die Hände zitterten. Der ganze Körper vibrierte. Sie hielt sich am Türrahmen fest, um nicht umzufallen.
    Als sie aufblickte und die Umgebung wieder klar erkennen konnte, sah sie Braig und Beck und eine blonde Frau vor sich. »Kommt Ihr mal bitte?« hauchte sie. Die Worte kamen ihr nur schwer von den Lippen. Ihre Stimme war nicht mal mehr ein Schatten ihrer selbst.
    Die Männer schauten sie an, als stamme sie von einem fremden Stern.

33.
    Braig begriff die verzweifelten Schreie der Opfer sofort. »Serbokroatisch«, flüsterte er, als er nach mehreren Minuten endlich wieder fähig war, sich zu äußern, »der Krieg in Jugoslawien.«
    Die Bilder waren der Höhepunkt an Grausamkeit, menschenverachtender Gewalt, bestialischen Kampf-und Verfolgungsszenen, die Braig je gesehen hatte. Minutenlange Beweise dafür, dass die Evolution des Lebens auf dem Planeten Erde sich in eine falsche Richtung entwickelt hatte. Der Mensch – die Krone der Schöpfung? Bestenfalls die Spitze eines durch und durch fehlgeschlagenen Werdegangs einer zu gemeinsamem friedlichem Leben völlig ungeeigneten Spezies. Töten als Spaß, Jagd auf Tiere und Menschen als ultimatives Vergnügen der großen Fun-Gemeinde, Vergewaltigungsorgien als Optimierung des Lustgewinns. Der Homo Sapiens auf dem Höhepunkt seiner Existenz. Morden, Schießen, Jagen, Zerstören, Vergewaltigen – in Bild und Ton. Die Kamera live dabei. Welcher Verbrecher hatte den Film gedreht?
    Die Aufnahmen rissen die betrachtenden Beamten aus ihrer gewohnten Umgebung, ließen sie die Zeit vollständig vergessen. Als der Film plötzlich unvermittelt aussetzte und schwarz-weißes Flimmern den Bildschirm erfüllte, starrten sie mit betäubten Sinnen einander an.
    Braig brauchte einige Sekunden, um zu sich zu kommen. »Wo hast du das her?«, fragte er nach vielen Augenblicken des Schweigens.
    Der Fernseher flimmerte, rauschte leise. Neundorf reagierte wie in Zeitlupe. Ihre Haut war bleich, ihre Hände zitterten. »Jahn«, hauchte sie, »Wolfgang Jahn. Im Keller seiner Mutter.«
    »Der Krieg in Jugoslawien«, erklärte Braig, »ich habe die Schreie verstanden.«
    Neundorf starrte ihn an, fand nur langsam wieder zu sich. »Er war dabei. Jahn. Und Grandel. Roger Grandel. Beide. Ich erkannte sie. Als sie sich auf die junge Frau warfen …«
    Braig eilte zum Waschbecken, drehte den Hahn auf, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, ließ es abtropfen, trocknete sich dann mit einem Handtuch ab. »Einen Kaffee«, sagte er, »Ihr auch?« Neundorf und Beck nickten.
    Braig lief zur Kaffeemaschine, füllte Wasser und Pulver ein, betätigte den Schalter.
    »Die Grandel«, erinnerte Erwin Beck. »Sie sitzt noch drüben. Ich schicke die Frau nach Hause.« Er lief aus dem Raum.
    Braig nickte, wartete schweigend auf die Rückkehr des Kollegen.
    »Sie saß immer noch da, wie vorhin. War ziemlich fertig. Sie ging ohne Kommentar.«
    »Wir hängen ihr ein Verfahren wegen Irreführung an. Aber sonst?« Braig stand bei der Kaffeemaschine, wartete, dass sich die Kanne füllte. Der aromatische Duft des Getränks zog durch den Raum.
    »Jetzt wissen wir, warum sie getötet wurden. Und weshalb auf diese Weise. Oder?« Neundorfs Stimme hatte an Fassung gewonnen. »Hoffentlich spürten

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