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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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werden. Dafür geht man schon gern über weitere Leichen.«
    »Wieso haben wir das Video dann in unserer Hand?«
    »Weil der Täter nichts von dem Koffer wusste, den Jahns Mutter bei sich im Keller aufbewahrte. Wer würde schon an solch ein Versteck denken?« Neundorf lief zu der Videoanlage, spulte das Band zurück. »Wir müssen es uns antun. Es ist unsere einzige Chance. Einverstanden?«

34.
    Es war einer der unangenehmsten Nachmittage dieses Sommers, an die sich Braig Monate später noch erinnern konnte. Draußen flimmerte die August-Hitze über dem Neckartal, drinnen jagten Szenen der Gewalt und des Todes über den Bildschirm. Obwohl sie nach der zweiten Ansicht des Films feststellten, dass die Aufnahmen insgesamt nicht länger als achtundzwanzig Minuten dauerten, kam es ihnen jeweils wie eine kleine Ewigkeit vor.
    »Könnten wir nicht wenigstens den Ton abstellen?«, fragte Erwin Beck entnervt.
    Neundorf lehnte den Vorschlag entschlossen ab. »Ich will die deutschen Stimmen nochmals genau hören.«
    Sie spulten das Video erneut zurück, ließen es wieder laufen, notierten sich die Aussagen der Opfer wie der Täter, versuchten, alle Schreie zu erfassen, jedes Wort, das irgendwoher zu hören war, starrten in die Gesichter, versuchten, die Menschen daraufhin zu untersuchen, ob sie ihnen bekannt waren. Abwechselnd stoppten sie das Band, zeitweise alle paar Minuten, manchmal schon nach Sekunden. Mit angespannten Sinnen hockten sie vor dem Bildschirm, ließen das Grauen über sich ergehen.
    Nach dem zweiten Durchlauf besorgte Braig frische Brötchen, eine Stunde später fassten sie ihre Aufzeichnungen zusammen. Braig konnte jetzt ziemlich genau lokalisieren, wo der Film gedreht worden war. Es waren Schreie im Hintergrund gewesen, die ihn stutzig gemacht hatten und das Band zurückspulen ließen. Vier, fünf, sechs Mal hatte er sich die Stelle angehört, dann war er sich sicher gewesen, hatte er die Wortfetzen einem Puzzle ähnlich zu einem sinnvollen Satz zusammengefügt. Zwischen heftigen Gewehrschüssen und mehreren schweren Detonationen, denen von der Kamera begleitet zwei große mehrstöckige Häuser zum Opfer fielen, hatte eine vor Siegesbegeisterung johlende Stimme in jugoslawischer Sprache den ganzen Hass aus sich heraus gebrüllt. »Danke, ihr schwäbischen Kämpfer, dankt eurer Regierung für die guten Waffen, jetzt haben wir die serbischen Hunde endlich aus der Krajna vertrieben.«
    »Du bist dir absolut sicher?«, fragte Neundorf.
    »Hundert Prozent. Der Satz ist eindeutig, obwohl der Mann betrunken zu sein scheint. Es geht um die Krajna.«
    »Wo liegt sie?«
    »Am Rand Kroatiens. Sie war seit Jahrhunderten von Serben besiedelt. Auch im Bürgerkrieg hatte Serbien das Gebiet fest in der Hand, bis es im Sommer 1995 den Kroaten überraschend gelang, die Region innerhalb weniger Wochen vollständig zu erobern. Man munkelt, mit US-amerikanischer und deutscher Unterstützung. Anders war es nicht möglich. Die Serben waren den Kroaten militärisch haushoch überlegen.«
    »Was geschah mit den Menschen dort?«
    »Die Serben wurden abgeschlachtet wie die Tiere, Frauen vergewaltigt, schließlich fast vollzählig vertrieben, mehr als zweihunderttausend Menschen, obwohl ihre Vorfahren seit Jahrhunderten in der Krajna lebten. Völkermord, genau das gleiche, was die Serben in Bosnien und jetzt im Kosovo angestellt haben, geschah 1995 in der Krajna mit ihnen. Durch die Kroaten. Aber alle waren sich von Anfang an klar, dass das nur mit intensiver ausländischer Hilfe gelingen konnte.«
    »Dann haben wir hier den Beweis dafür.«
    »Es scheint so, ja. Wie schon im Zweiten Weltkrieg, als die Deutschen die kroatische Ustascha-Regierung gegen die Serben unterstützten, auch in den neunziger Jahren wieder: Deutsche Kämpfer, diesmal freiwillige, wüten unter der serbischen Zivilbevölkerung mit intensiver deutscher Waffenhilfe.«
    »War das offiziell?«
    »Natürlich nicht. Illegale Waffenlieferungen wahrscheinlich durch alte Kontaktleute. Verbindungen, die vielleicht seit Jahrzehnten bestanden. Der Geheimdienst, wer weiß.«
    »Der Mann spricht von schwäbischen Kämpfern und ihrer Regierung. Das bedeutet, die Stuttgarter Landesregierung …«
    »Vorsicht«, unterbrach Braig seine Kollegin, »viele Jugoslawen bezeichnen die Deutschen als Schwaben. Schwabi kamen seit Jahrhunderten ins Land, siedelten in vielen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, verheirateten sich mit Einheimischen. Es muss also nicht die Stuttgarter

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