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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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flüsterte Neudorf, wies mit einer kurzen Augenbewegung in die Richtung, aus der der Schuss gekommen sein musste. Sie gingen auf Zehenspitzen in die Diele, schoben sich an der Wand entlang weiter. Unter der einen Tür war ein schwacher Lichtschein zu erkennen. Braig hielt seine Kollegin zurück, deutete auf den hellen Spalt. Sie nickte, sprang an der Tür vorbei, blieb stehen. Als Braig nachgerückt war, riss Neundorf die Klinke nieder, stieß die Tür weit auf. Ein scharfer, stechender Geruch kam ihnen entgegen.
    Der großzügig möblierte Raum war hell erleuchtet. Braig kniff die Augen zusammen, blinzelte in das Zimmer. An zwei Wänden massive dunkle Mahagoni-Schränke bis hoch zur Decke, geradeaus das von Vorhängen verdeckte Fenster. Mitten drin ein kreisrunder schwerer Tisch, zu der übrigen Einrichtung passend.
    Braig kannte den Mann, der vom Schein der Lampe beleuchtet wurde: Grauweißer Haarkranz, ovale, nach vorne offene Glatze. Die Brille war ihm von der Nase gerutscht, lag mit halb geöffneten, leicht verbogenen Bügeln neben ihm auf dem Papier. Wie lange war es her, dass er hier nebenan mit ihm gesprochen hatte? Braig schienen es Ewigkeiten.
    Hägeles Kopf lag auf dem massiven Tisch; das Blut aus der Schusswunde an seiner rechten Schläfe hatte bereits aufgehört zu fließen. Zu spät, wusste Braig. Vielleicht fünf, sechs Minuten.

37.
    Sie hatten das ganze Haus durchsucht, alles auf den Kopf gestellt. Nichts. Alle Räume waren leer, niemand zu entdecken. Keine Hinweise auf die Anwesenheit einer fremden Person, nirgends Spuren.
    Die Fenster alle verschlossen, bis auf ein winziges, auf der Rückseite des Gebäudes, ähnlich dem, durch das sie ins Haus eingedrungen waren, nur noch schmaler, fast um die Hälfte kleiner, mit so geringem Durchmesser, dass Braig sich unmöglich hätte hindurchwinden können, sodass Hägele hier ohne Risiko auf das engmaschige Metallgitter hatte verzichten können, ein Fenster, das die schmale Erdgeschoss-Toilette entlüftete, aus guten Gründen also nicht vollkommen geschlossen, sondern nur angelehnt war.
    Im Garten und auf dem Rasen keine Spuren, bis auf Stoffreste im Zaun, die allerdings ohne jeden Zweifel auf Braigs und Neundorfs Hosen zurückzuführen waren. Beobachtungen von Nachbarn lagen ebenfalls nicht vor, obwohl Kollegen alle Häuser und Wohnungen der Umgebung abklapperten. Die meisten Bewohner befanden sich im Urlaub, kaum einer war an diesem Abend im Garten oder auf seinem Balkon; den wenigen, die sich draußen vergnügt hatten, war nichts aufgefallen, was auch nur im Entferntesten erwähnenswert war.
    Für die Ärzte und die Spurensicherung war es der klassische Selbstmord; Fingerabdrücke, Schussrichtung, Schmauchspuren, die Kugel, die Haltung des Toten, alles eindeutig, kein einziger Ansatz von Kritik. Die Waffe wurde als Hägeles Eigentum registriert, sie war seit fast zwanzig Jahren auf ihn zugelassen. Dazu der Abschiedsbrief und, dreißig Zentimeter daneben, ebenfalls auf dem Tisch, das belastende Schreiben samt Namen: Wolfgang Jahn und Roger Grandel.
    Ludwigsburg, 10. August. 20.30 Uhr
.
    Weil mich mein Gewissen plagt, kann ich nicht weiterleben. Ich habe Dinge getan, die viel Leid bewirkt haben. Zum Glück sind sie nur sehr wenigen Menschen bekannt. Damit das so bleibt, musste ich Roger Grandel in der Nacht von Freitag auf Samstag töten. Ich überraschte ihn nach seinem Mord an einem Konkurrenten. Gemeinsam schafften wir die Leiche nach Leinfelden-Echterdingen zu dieser Frau Krauter. Anschließend fuhren wir zurück nach Bürg. Ich musste Roger töten, weil er von einem bösen Plan nicht ablassen wollte. Hinter Backnang warf ich ihn in die Murr. Wolfgang Jahn ist der Verursacher des Elends. Er musste zwei Tage später für seine Geldgier sterben. Ich warf ihn in Esslingen von der Mauer. Warum ich beide entmannte? Nur Frauen tun so etwas
.
    Ich hatte nicht vor, selbst zu sterben. Aber mein Gewissen lässt es nicht länger zu. Möge Gott mir vergeben
.
    Ewald Hägele
    Die Schriftsachverständigen des LKA wunderten sich zwar über die Kürze des Textes, die bei Selbstmordtätern unüblich sei – viele nutzten einen Abschiedsbrief zu einer ausführlicheren Bilanz ihres Lebens – befanden das Schreiben nach vielerlei Vergleichen mit anderen Aufzeichnungen Hägeles aber als echt. Seine Schrift war krakelig, eine zittrige Handführung deutlich zu erahnen, allerdings nachvollziehbar angesichts der psychischen Situation, in der der Mann sich zum Zeitpunkt der

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