Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
zuvor. »Sie sind am Sonntag hier?«
    Der Kriminalrat trug – wie fast jeden Tag – seinen anthrazitgrauen Anzug, eine gelbgrün gestreifte Krawatte, darunter ein weißes Hemd. Mitten auf seinem Kinn prangte eine breite Schnittwunde.
    »Warum haben Sie die Frau nicht verhaftet?« giftete er. »Die Lage ist eindeutig.«
    Braig sah keinen Anlass, klein beizugeben. Vor allem jetzt nicht, nach dem Vergleich mit der neuen Vermisstenmeldung. »Tut mir leid. Da bin ich anderer Ansicht.«
    »Wie wollen Sie belegen, dass die Krauter mit dem Mord nichts zu tun hat?«
    »Das kann ich nicht belegen. Aber ich habe bisher auch keine Beweise, dass sie ihre Hände im Spiel hatte. Und die verlangt jeder Staatsanwalt, bevor er mir den Haftbefehl unterschreibt.«
    Gübler gab nicht nach.
    »Wenn Sie dem Staatsanwalt mitteilen, dass dieser Grandel tot auf Krauters Feld lag, nachdem sie ihn jahrelang verfolgte, bedrohte und schikanierte, unterzeichnet er ohne Überlegen.«
    Braig wies auf seinen Monitor. »Tut mir leid, unsere Leiche ist nicht dieser Grandel. Hier, sehen Sie.«
    Gübler kam näher, las den Text auf dem Bildschirm. Braig betrachtete die kleine Gestalt, ihr von Missmut und Unzufriedenheit gezeichnetes Gesicht. Gübler war das lebende Beispiel für den Charaktertyp, der sich das Leben aus freien Stücken selbst schwer machte. Seine Unfähigkeit, mit Menschen freundlich umzugehen, sie als ebenbürtige Partner anzunehmen, ihr berufliches Wissen und Können zu akzeptieren, vielleicht sogar zu würdigen, degradierte jede Begegnung mit dem Mann zu einer konfliktbeladenen Auseinandersetzung. Hinzu kam Güblers liebedienerische Paragraphenreiterei: Alles, was von oben kam, verehrte der Mann wie die Offenbarungen der Heiligen Schrift, verhielt sich seinen Vorgesetzten gegenüber dermaßen unterwürfig, ja kriecherisch, dass es geradezu lächerlich wirkte. Beruflich war er – dem Urteil wohl aller Kollegen nach, die seit Jahren mit ihm zu tun hatten – schlicht und einfach inkompetent, dazu noch von einer Faulheit und Bequemlichkeit, die alles in den Schatten stellten. Dass er seinen Posten als Kriminalrat allein durch das richtige Parteibuch und die daraus resultierenden Beziehungen erlangt hatte, war ein offenes Geheimnis – leider kein Einzelfall im seit Jahrzehnten von immer derselben Partei regierten Baden-Württemberg.
    Wenn es eine Person gab, die sich dringend einer intensiven Therapie unterziehen musste, dann Gübler: Umgang mit Menschen, Anfängerlehrgang, unterste Stufe, überlegte Braig, seine Vorgesetzten hätten die Pflicht, ihn dazu zu verdonnern. Wenn es für diesen Versuch nicht längst zu spät war. Wahrscheinlich würde jeder noch so erfahrene Therapeut an Gübler verzweifeln und die weitere Behandlung ablehnen. Ob sein offenkundig vorhandener Napoleon-Komplex, das Problem vieler körperlich zu klein geratener Männer, wirklich die einzige Ursache für Güblers Fehlverhalten war? Braig überlegte, welche anderen kleinen Männer er kannte und ob sich auch bei ihnen ähnliche Symptome feststellen ließen. Da klingelte das Telefon. Er erwachte abrupt aus seinen Gedanken, nahm sich vor, später zu einem geeigneteren Zeitpunkt darüber nachzudenken, nahm den Hörer ab.
    Dem Mann am anderen Ende schien es wichtig. Braig hörte zu, schaute sich dann um. Gübler starrte ihn mit großen Augen an.
    »Oh, Moment«, sagte Braig, »könnten Sie das bitte wiederholen?«
    Er schaltete das Telefon auf Zimmerlautstärke.
    »Wir haben eine unbekannte männliche Leiche in Backnang. Der Tote schwamm in der Murr. Ist übel zugerichtet. Das LKA sollte sich einschalten.«
    Gübler starrte seine Mitarbeiter gereizt an. »Heute am Sonntag«, brüllte er, »muss das sein?«
    Der Beamte am Telefon lachte. »Sie sind ein kleiner Witzbold, was? Habe ich den Kerl gekillt?«
    Gübler stampfte vor Wut auf den Boden. »Ausgerechnet heute. Mein Gott, wir haben genug am Hals. Dieses Weib am Flughafen …« Er drehte sich um, betrachtete Braig, dann die Neundorf, verstummte mitten im Satz. Plötzlich veränderte sich seine Miene, seine Augen leuchteten auf. »Aber klar doch, kein Problem«, rief er mit freundlicher Stimme, »meine Kommissarin Neundorf nimmt sich der Sache an. Sofort. Geben Sie doch bitte die genauen Daten durch.« Er grinste Neundorf mitten ins Gesicht, reichte ihr den Hörer. »Bitte, liebe Kollegin, übernehmen Sie.«
    Gotthold Gübler war die Freundlichkeit in Person.

11.
    Else Altmaier lebte in einer kleinen Altbauwohnung

Weitere Kostenlose Bücher