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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Dieselben, die schon 1940 deine Verwandten ermordeten!«
    Er konnte sie verstehen, wusste um die schrecklichen Erfahrungen, die sie als Kind mit der deutschen Wehrmacht gemacht hatte. Dennoch wollte er ihre Anklage nicht einfach so akzeptieren. »Denk erst mal nach, bevor du andere beschuldigst«, rief er ins Telefon, »wer hat denn angefangen? Wer ermordete im Kosovo unschuldige Menschen, nur weil sie einer anderen Nationalität angehören? Wie viele Frauen wurden von den serbischen Soldaten dort vergewaltigt, wie viele Männer von den Paramilitärs abgeschlachtet? Hast du die Häuser, die Dörfer gesehen, die dort brannten? Wie viele Menschen wurden vertrieben, waren auf der Flucht? Wer konnte sich sicher fühlen vor den serbischen Mördern?«
    »Deine Tante Jelica hat niemanden ermordet, sie hat keinem Kind auch nur ein Haar gekrümmt. Du kennst sie gut, du weißt, dass sie das nie getan hätte.«
    Braig wusste, dass sie recht hatte, dass man es nur als irrationalen Wahnsinn bezeichnen konnte, was sich ereignet hatte. Er war selbst hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, hatte den Nato-Einsatz am Anfang stürmisch begrüßt, weil er den Versprechungen der Politiker geglaubt, sie für fähig gehalten hatte, den blutrünstigen Diktator in Belgrad endlich abzusetzen und das Schlachten und Morden im Kosovo zu beenden – doch was dann geschehen war, was die größte Kriegsmaschinerie der Welt in den folgenden Monaten unternommen hatte, war Anlass für das tiefste Misstrauen allen politischen Ankündigungen gegenüber. In wenigen Tagen, höchstens Wochen, hätte man sämtliche serbischen Panzer im Kosovo zerstört, hatten Politfunktionäre vollmundig getönt, Verbrechern samt Helfershelfern würde endgültig das Handwerk gelegt. Wochen-, ja monatelang hatte Braig darauf gewartet, dass endlich einträfe, was da so großartig angekündigt worden war.
    Doch was hatte das angeblich allmächtige Militärbündnis derweil geleistet: Hunderte Kilometer fernab des vergewaltigten Kosovo Städte und Dörfer, Brücken, Fabriken, Kraftwerke, vollbesetzte Züge, Busse und Häuser bombardiert, unzählige Zivilisten mit heimtückischen Splitterbomben getötet und verwundet und auf dem eigentlichen Kriegsschauplatz, dem Kosovo, keinen einzigen nennenswerten Erfolg erzielt. Das Morden, Vergewaltigen, Brandschatzen, Plündern, Vertreiben war weitergegangen, hatte sich sogar von Tag zu Tag aufs Neue gesteigert.
    Braig wusste, dass der Krieg seine Mutter schwer belastet, ihr unzählige schlaflose Nächte mit schrecklichen Erinnerungen beschert hatte. Schon einmal waren deutsche Soldaten in Jugoslawien eingedrungen, hatten das Land mit Mord und Totschlag überzogen. Sie war keine zehn Jahre alt gewesen, damals, als todesmutige junge Partisanen einen Trupp der teutonischen Soldateska im serbischen Bergland abgefangen und einen der ins Land eingedrungenen Männer erschossen hatten.
    Stundenlang hatte sie ihm erzählt, was dann geschehen war, was sie mit eigenen Augen, im dichten Buschwerk verborgen, in unmittelbarer Nähe miterlebt hatte: Wie am nächsten Morgen deutsche Soldaten ins Nachbardorf eingerückt waren, an dessen Rand sich der nächtliche Schusswechsel ereignet hatte, dort alle Männer, die älter als sechzehn Jahre waren, vor das Dorf getrieben und mit ihren Maschinengewehren hingerichtet hatten, dann mit Benzinkanistern in die Häuser eindrangen und alles in Brand steckten.
    Er musste sie ablenken, auf ein anderes Thema bringen, um den Tod ihrer Schwester wenigstens für kurze Zeit aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Mirjana Beranek kam ihm in den Sinn, ihre tschechischen Ausdrücke, mit denen sie auf die Erwähnung Roger Grandels reagiert hatte.
    »Du hast dein Tschechisch nicht verlernt?«, fragte er.
    »Was soll das? Glaubst du, ich bin schon verkalkt?«
    Er rief sich den Satz von Frau Beranek in Erinnerung: »Djavo nek ga odnese.«
    »Was ist mit dir? Willst du deine Mutter auf den Arm nehmen? Das ist Serbokroatisch, kennst du die Sprache deiner Eltern nicht mehr?«
    »Wie lautet ›Der Teufel soll ihn holen‹ auf Tschechisch?«
    Sie überlegte kurz, erklärte es ihm dann. Es klang ganz anders, war mit dem Jugoslawischen überhaupt nicht zu verwechseln. »Nek ho dabl vodnese.«
    »Du bist dir absolut sicher?«
    »Für meinen Sohn bin ich wohl die verkalkte Alte.«
    Er entschuldigte sich, lobte stattdessen ihre Sprachfertigkeit. Serbokroatisch, Tschechisch, Russisch, Rumänisch waren ihr seit ihrer Kindheit geläufig,

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