Schwaben-Messe
als hätte sie die Sprachen studiert. Nur mit dem Deutschen hatte sie Schwierigkeiten. Es gab nicht den Hauch eines Zweifels, dass sie ihm die richtige Auskunft gab. Braig erinnerte sich an die andere Verwünschung, zu der sich Beranek in einer Sekunde der Unachtsamkeit hatte hinreißen lassen. »Ta stoka nek krepa«, sagte er.
»Was soll das?«, donnerte seine Mutter. »Du solltest die Sprache deiner Eltern selbst kennen! Mit Tschechisch hat das nicht das Geringste zu tun.« Sie übersetzte ihm den Ausdruck. »Ta mrcina nek dodela.« Es klang völlig anders.
»Wie weit ist es mit meinem Sohn gekommen«, schimpfte sie laut, »dass er sich die Sprache seiner Vorfahren als Tschechisch verkaufen lässt?«
Beranek hatte ihn angelogen, wusste Braig, begriff jetzt auch, was ihn im Gespräch mit der Frau so unsicher gemacht hatte. Ihr Akzent war identisch mit dem seiner Mutter. Die Sprache, die sie im Affekt zum Fluchen benutzt hatte, stammte nicht aus Tschechien. Mirjana Beranek war Jugoslawin oder Kroatin, garantiert. Warum hatte sie versucht, es ihm zu verheimlichen?
16.
Katrin Neundorf traf mit einem Team der Spurensicherung wenige Minuten nach neun am Montagmorgen am Fundort der Leiche in Esslingen ein. Der entstellte Körper war knapp eine Stunde vorher von zwei Schülern entdeckt worden, als diese einer Wette folgend die Stufen der Burgmauer bis zum Hochwachtturm hochsprangen und oben erschöpft von der Brüstung auf die Stadt und die Weinreben schauten. Die beiden dreizehn und vierzehn Jahre alten Jungen hatten zuerst an einen Scherz geglaubt, eine total verrenkte Schaufensterpuppe, die jemand aus Jux beschmiert und dann über die Burgmauer geworfen hatte. Erst nach genauerer Begutachtung des Objekts war ihnen klar geworden, dass es sich um einen nackten Menschen handelte. Hals über Kopf hatten sie den Ausguck verlassen, waren schreiend die Stufen hinunter zum Marktplatz gerannt, um ihren gruseligen Fund bekanntzumachen. Die Kollegen der Esslinger Kriminalpolizei hatten sofort das LKA verständigt, als sie die Entmannung der Leiche bemerkten. Die Parallele zu dem Toten von Backnang war unübersehbar.
»Mit einem scharfen Gegenstand abgetrennt?«, fragte Neundorf den Arzt, der sich seit einer halben Stunde um den Ermordeten bemühte.
»Kessler«, stellte der Mann sich vor, zog seinen rechten Handschuh aus, reichte Neundorf die Hand. Er war auffallend klein, kaum 1,60 Meter groß, musste nur deshalb nicht zu ihr aufsehen, weil er im steil ansteigenden Gelände des Weinbergs oberhalb von ihr stand. Die Haare ragten borstig von seinem Schädel ab; er trug sie so kurz, dass an einigen Stellen die Kopfhaut deutlich durchschimmerte. Seine helle Wetterjacke war verknittert und von Flecken übersät, die schwarzen Cordhosen zeigten mehrere Risse. Die Schuhe des Mannes schienen zum Bergsteigen ebenso geeignet wie zum Wandern. Offensichtlich bevorzugte er für die Arbeit im Gelände robuste Bekleidung. »Ein scharfes Messer, ohne Zweifel«, bestätigte Doktor Kessler.
Neundorf nickte. »Wie gestern in Backnang. Ein einziger Schnitt?«
»Profis, würde ich sagen. Ein Schnitt.«
»Ja, das meinte Ihr Kollege gestern ebenfalls. Wurde er hier getötet?«
Doktor Kessler wiegte den Kopf hin und her. »Ich denke, von der Burgmauer gestürzt. Genickbruch.« Er zeigte nach oben. »Allerdings ist sein Schädel dermaßen deformiert, dass ich zusätzlich auf einen oder mehrere kräftige Schläge schließe. Da sich hier unten im Weinberg keinerlei Spuren finden, jedenfalls soweit ich das sehe, bekam er den Schlag wohl vor dem Sturz verabreicht. Oder er knallte mit dem Kopf auf einen der Weinstöcke. Aber das scheint mir unwahrscheinlich. Der nächste Pfahl steht dort vorne, sechs, sieben Meter entfernt. Wieso wäre sein Körper dann hier gelandet?«
Neundorf verstand, was der Arzt meinte, bat die Kollegen von der Spurensicherung, alles sorgsam zu überprüfen. »Das werden wir gleich haben«, erklärte sie, »ist der Weinberg hier abgesperrt?«
Der Esslinger Kollege, Polizeiobermeister Benz, nickte. »Wir haben alles sofort abgeriegelt. Die Reben sowieso, da kommt ohnehin nur der Weingärtner her, dann die Gärten unterhalb und auch die Burgmauer.«
»Vielen Dank. Sie haben bisher nichts entdeckt, was weiterhelfen könnte? Kleider, Ausweise?«
Benz musste sie enttäuschen. »Wir waren vorsichtig, wollten keine Spuren verwischen.«
»Prima. Das war vollkommen richtig. Ich hoffe, wir werden etwas finden.«
Neundorf sah sich
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